Ü50? In Agenturen schwer vermittelbar

Es ist unsozial und kontrapdruktiv: Agenturen haben wenig Interesse an älteren Kolleg:innen. Es fehlt unter anderem an Wertschätzung und an adäquater Bezahlung, sagt Inhaber Karsten Gessulat. Er fordert eine Branchen-Initivative.

 

Unsere Branche kümmert sich um so viele Themen: Diversity, Frauenrechte, Nachhaltigkeit, LGBTQ, Sexismus, New Work und anderes mehr. Das ist alles wichtig und richtig. Nichts davon darf unter den Tisch fallen. Im Gegenteil. Es macht mich stolz, in einer Branche zu arbeiten, die sich ernhaft und kreativ damit

auseinandersetzt. Ein großes Thema kommt mir auf unserer Agenda aber deutlich zu kurz: Wie gehen wir mit Kolleginnen um, die schon länger im Berufsleben stehen und so langsam die 50 überschreiten? Haben die noch einen Platz in unseren Agenturen, auch jenseits der Geschäftsführung? Laut GWA sind aktuell knapp 50 Prozent der Agenturmitarbeiter:innen unter 35, aber nur 7 Prozent der Mitarbeitenden über 55 Jahre alt. Wo sind die alle hin? Was ist da passiert? Wo und wann genau haben wir diese Kolleginnen

verloren? […]

 

Was bieten wir Menschen, die unser Geschäft schon lange kennen? Welche Förderprogramme gibt es? Welche Arbeitsmodelle haben wir parat? Wir dürfen unsere älteren Mitarbeitenden nicht vergessen oder sogar hinten runterfallen lassen. Das ist erstens unsozial und zweitens falsch. Denn es geht nur gemeinsam voran. 

Selbstverständlich brauchen wir Leute, die frischen Wind reinbringen, alles auf den Kopf stellen, unbequeme Fragen stellen, frech nach vorne sprinten und vor Ideen nur so sprudeln. Aber - sorry - das können auch Menschen, die die 50 schon locker überschritten haben. Für den Arbeitsmarkt der Agenturen gehört man damit allerdings in der Regel schon in die Abteilung "schwer vermittelbar. Was für eine schreckliche Verschwendung von Ressourcen. Und absolut kontraproduktiv. […]

 

Ich mag mich aber nicht damit abfinden, dass man besser als Coach, Therapeutin, Yogalehrer:in oder auf Kundenseite alt werden kann. Warum nicht als Werber:in? Weil wir zu wenig dafür tun. Und weil uns schlicht die Wertschätzung für seniore Kolleginnen fehlt. Einzige Ausnahme: Wenn du es zum Geschäftsführenden oder mindestens zum Executive Creative Director gebracht hast, dann geht das Alter klar. Im Establishment also. Aber Texter:in, Kundenberater:in oder Projektmanager:in jenseits der Alters-Schallmauer sind Ausnahmen. […]

 

Wir brauchen eine Kultur, die Nachwuchs UND erfahrene Kolleginnen gleichermaßen wertschätzt und fördert. Wir brauchen Ideen, wie wir älteren Mitarbeitenden attraktive Aufgaben in Agenturen geben können. Wir brauchen Gehälter, die auch eine erfahrene und einen erfahrenen Art Direktor gut leben lassen. Wir brauchen klare Briefings für Personaler:innen und Headhunter, dass sie uns auch Kandidat:innen Ü50 präsentieren sollen.

 

©Text: W&V, 07.12.2022 | ©Foto: TheStandingDesk auf Unsplash