KATHARINA LANGE, 57

BRAND DEVELOPEMENT SPECIALIST

I’m taking a ride with my best friend

I hope he never lets me down again

He knows where he’s taking me

Taking me where I want to be

I’m taking a ride with my best friend

– Depeche Mode, Never Let Me Down Again

Katharina Lange traf ich zum ersten Mal 2005. Sie arbeitete zu der Zeit bei BAT (British American Tobacco) als Senior Brand Manager für die Marken Lucky Strike und Dunhill, ich war bei der Agentur GREY Düsseldorf, die diese Marken von dem bisherigen Etathalter KNSK übernommen hatte. Für BAT gründete GREY eine Dependance in Hamburg, das war Voraussetzung, um durch die Nähe eine gute Zusammenarbeit zu gewährleisten. Das ausgeprägte remote-Arbeiten gab es damals noch nicht, heute wäre es vielleicht gar nicht mehr nötig, direkt vor Ort sein zu müssen. Aber die Nähe war super, man war schnell bei BAT am Alsterufer, konnte sich direkt treffen, wenn es der eng getaktete Kalender der BAT-Teams zuließ, und das persönliche Zusammenarbeiten war effektiv. Die Taktzahl war auf beiden Seiten hoch, dafür war der Agenturvertrag auch entsprechend gut dotiert. Es war halt work hard, party harder, was durchaus generell prägend war für die Sozialisierung vieler Menschen unserer Generation.

Damals war Katharina Lange 39, ich 36, die Teams auf beiden Seiten waren entweder in einem ähnlichen Alter oder zum überwiegenden Teil jünger. Wir waren eher die Senioren. Manchmal fragte man sich schon damals, wo eigentlich die ganzen Leute bleiben, wenn sie über vierzig oder gar über fünfzig sind (sie waren ja schlichtweg einfach nicht mehr da). In der Agenturbranche ist man dann entweder mindestens auf Führungslevel knapp unter der Geschäftsleitung oder ist Geschäftsführer, ansonsten ist man, gerade im Kreativbereich, raus. Aber auch bei BAT, so berichtete mir Katharina in unserem Gespräch, war und ist das ähnlich, da hieß das „Vorruhestand“ – und raus. 

Gut geplante Employer Experience, und dazu gehört auch Altersdiversität, ist nach wie vor in vielen Branchen noch nicht angekommen. Darüber sprachen wir. Und übers Gendern, Erziehungsstile, sanfte Schneeflocken und ruhige Kugeln. Und über Songs aus den Achtzigern. Das Titelbild ist übrigens vom Depeche Mode-Konzert  im August 2023 in Tallinn vor 75.000 Fans. Where I took a ride with my best friend.

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GoF: Letztens saß ich im Flugzeug und beginne eine Unterhaltung mit meinem Sitznachbarn, der war vielleicht Ende zwanzig. Auf einmal siezt der mich, und ich dachte nur, ach, so alt bin ich?

 

Katharina:  Das mit dem Duzen passiert mir auch immer wieder. Also, ich duze alle. Wirklich alle Leute. Außer vielleicht, wenn jemanden wirklich alt ist, als das ich mich ja nicht selbst bezeichne. So ü65, ü70, die würde ich niemals duzen. Aber unsere Company Policy bei bonprix besagt, alle werden geduzt. Intern und auch externe Dienstleiter, egal wie alt, und zwar von Anfang an. Das hat irgendwie dazu geführt, dass ich auch im Privaten, wenn ich zum Beispiel mal auf einer Party bin, alle Leute automatisch duze. Und manchmal merke ich dann plötzlich, dass mein Gegenüber das gar nicht möchte. 

Darüber habe ich auch gerade letztens mit meinen erwachsenen Kindern diskutiert: Was sind da eigentlich die Regeln und gibt es überhaupt noch Regeln? Und wer wendet die an?

 

Du warst über zwanzig Jahre bei dem Unternehmen BAT, das angelsächsisch geprägt ist und es wurde viel englisch gesprochen, da gibt es ja nur das you.

 

Ja, aber jetzt bei bonprix ist eben auch so, obwohl das jetzt kein besonders progressives Unternehmen ist, und trotzdem ist das ein Teil der Kultur, der sich durchgesetzt hat. Als ich damals bei BAT angefangen habe, da wurde ich noch mit Fräulein Kohrstädt angesprochen, das muss man sich mal vorstellen. So lange ist das her. Also dieses Duzen, das wahrscheinlich aus der angelsächsischen Kultur kam, da bin ich ein großer Fan von, weil es einfach von Anfang an ein paar Hürden nimmt. Klar, nicht jeder mag es, aber für mich ist es wie gesagt total egal.  

Ich habe da eine Anekdote: Ich werde ja achtundfünfzig dieses Jahr, aber das ist für mich einfach abstrakt. Ich habe überhaupt keine Beziehung zu dieser Zahl, I can’t relate. Jemand, der achtundfünfzig ist, der ist ja alt, aber ich fühle mich nicht alt (lacht). Ich gehe also an irgend einem Schaufenster vorbei, dann sieht man sich ja so im Augenwinkel. Und dann sehe ich eine Person und muss echt zwei Mal hingucken und ich denke, oh Gott, das bin ja ich! Ich sehe mich selbst als viel jüngere  Person, als ich aussehe.

 

Man fühlt sich in unserem Alter zehn bis bis fünfzehn Jahre jünger, und je älter man wird, werden aus fünfzehn auch gerne mal zwanzig Jahre …

 

… genau! Ist manchmal auch total peinlich, oder? Ich kann nur sagen, ich fühle mich nicht so. Ich hatte heute ein Gespräch mit einer Kollegin, die ist zwölf Jahre jünger als ich. Bei bonprix sind gerade harte Zeiten der Restrukturierung, und ich habe gesagt: Ganz ehrlich, das, was ich vor sieben Jahren gemacht habe, dass ich ein Unternehmen in so einer Situation verlassen habe und noch einmal neu starte, das mache ich nicht nochmal. Ich mache das Licht hier aus. Wenn mir nicht jemand einen richtig guten Job auf dem Silbertablett serviert, dann habe ich überhaupt nicht den Antrieb, noch einmal aktiv diesen Schritt raus zu machen und wieder neu zu starten.

 

Die Festanstellung nach Jahren der Selbstständigkeit war kein Neustart für dich?

 

Ich war vier Jahre zusammen mit meiner Geschäftspartnerin mit einer Beratung selbstständig, und dann kam Corona. Da ist alles weggebrochen, da haben wir echt kalte Füße gekriegt. Ich habe mir relativ schnell, so nach drei, vier Monaten, gedacht, okay, ich gucke jetzt doch noch einmal nach einer Festanstellung. Ich hätte nicht gedacht, dass ich im Alter von fünfundfünfzig noch relativ easy etwas bekomme. Eine Selbstständigkeit würde ich echt nicht noch einmal machen.

 

Warum nicht?

 

Weil es eben doch ein großer Schritt ist, weil es viel Kraft kostet. Choose you battles. Klar, gebattled wird überall, und inhaltlich bin ich totaler Fan davon, immer wieder etwas Neues zu machen. Das mache ich auch, ich bilde mich weiter, ich bin super interessiert bei vielen Themen. Aber ich brauche eine relativ stabile Säule, einen Job. Da will ich nicht auch noch das Battle haben.

 

Ich habe auch noch eine Anekdote. Ein guter Bekannter hat letztens erzählt, dass er mit einem jüngeren Kollegen im Auto saß, da lief im Radio Duran Duran. Er war entsetzt, dass der Jüngere Duran Duran nicht kannte. Wie funktioniert ein verständnisvolles und konfliktfreies Miteinander zwischen den Generationen aus Deiner Sicht?

 

Für mich ist das gar keine Konfliktsituation. Ich hätte wahrscheinlich gesagt: Die kennst du nicht? Ey, mega Bildungslücke, das war groundbreaking in den Achtzigern.


„Es gibt Menschen, die sind mit fünfzig schon sehr, sehr alt. Die waren aber wahrscheinlich auch mit vierzig schon sehr, sehr alt. Es ist eine Frage des Mindsets: Wie bist du drauf?“


Ich hatte übrigens neulich ein ähnliches Erlebnis, als es bei uns eine Weihnachtsfeier in der Firma gab mit dem Motto Back to the Eighties. Meine ganzen dreißigjährigen Kolleginnen haben gesagt: Oh, cool, Eighties! Und ich so, naja, geht so. Ich habe in den Achtzigern Abi gemacht, und wir sahen da richtig scheiße aus (lacht). Für euch ist es eine Verkleidung, für mich ist es meine Jugend. Es gibt immer wieder diese Retrotrends, die sich immer wieder einweben und die von jeder Generation anders bewertet werden. Das ist für mich eher etwas Positives, ich würde das nicht als Konflikt sehen.

 

Verstehe. Den Konflikt hatte ich auch eher auf Seiten meines Bekannten gesehen, weil er so entsetzt war.

 

Ah, ok, das sehe ich auch so, warum war der so entsetzt? Kann ich gar nicht nachvollziehen. Ich sehe auch bei den meisten Leuten in meinem Alter gar nicht mehr diese Abgrenzung. Ich finde, es gibt Menschen, die sind mit fünfzig schon sehr, sehr alt. Die waren aber wahrscheinlich auch mit vierzig schon sehr, sehr alt. Es ist eine Frage des Mindsets: Wie bist du drauf? Wie sind deine psychischen und physischen Voraussetzungen? Da gibt es vielleicht tatsächlich welche, die sehen da einen Konflikt. Aber andere eben nicht.

 

Du bist ja auch Spezialistin im Bereich Personal. In Unternehmen ist es wichtig, dass alle gut miteinander können und auch unterschiedliche Generationen harmonieren, eine wichtige Aufgabe für die Personalabteilung. Wenn die nun von zwei Bewerbern CVs erhält, einen von einem Fünfunddreißigjährigen, einen von einem Fünfundfünfzigjährigen: Fällt der CV des Älteren direkt durch?

 

Du darfst es offiziell wegen Altersdiskriminierung natürlich nicht sagen, aber de facto glaube ich, dass das so ist. Ich habe bei uns auch mit vielen HR-Leuten gesprochen und habe denen ganz offen gesagt, dass ich echt erstaunt bin, dass ich überhaupt zu einem Interview eingeladen wurde. Aber bei OTTO (Anm.: bonprix ist Teil der OTTO Group) gibt es eben Policies zu den Themen Age Discimination, Gender, Rainbow, wir sind offen für alle und alles und so weiter. Da gibt es diese Beschränkungen nicht, aber bei vielen anderen Unternehmen gibt das eben ausgesprochen oder unausgesprochen. Die irrige Annahme dahinter ist ja, wie wir alle wissen, dass jemand mit fünfundfünfzig vielleicht nicht mehr so belastbar ist, nicht mehr so viel Bock hat. Klar, die Fälle gibt es garantiert. Aber es gibt eben auch die anderen Fälle. Na, es gibt eben auch die fünfunddreißgjährigen Schneeflocken, die einfach sagen: Okay, ich mach’ nur Home Office und eigentlich auch nur drei Tage in der Woche und das alles bei vollem Gehalt. Ich glaube, im Augenblick ist alles möglich, es gibt diese ganzen Strömungen, unabhängig vom Alter.

 

Policies sind auf struktureller Ebene eine gute Grundvoraussetzung. Aber wie vermeidet man in der HR-Abteilung Fehlurteile? Da sitzen ja auch nur Menschen, oftmals auch Jüngere, alle mit eigenen Prägungen und Werturteilen.

 

Diesen Bias rauszukriegen, ist schwierig. Ich denke schon, dass ein Fünfundfünzigjähriger sich mehr beweisen muss, als die Jüngeren.

 

Aber erst einmal liegt ja nur der CV da, da hat er sich noch gar nicht beweisen können.

 

Ich fürchte, dass du da nach wie vor wirklich auf die Offenheit der entsprechenden HR-Player angewiesen bist.

 

Was ist, wenn dort eine Fünfundzwanzigjährige oder ein Fünfundzwanzigjähriger sitzt …

 

… du brauchst nicht zu gendern, das mache ich auch nicht! (lacht)

 

Ah, ok, ich bin da etwas vorsichtig …

 

… ja! Ich auch! Aber ich mach’s nicht (herzliches lachen)

 

Eine Doppelnennung finde ich ok.

 

Ja, das finde ich auch … er, sie, es. Das ist auch so ein Generationsthema. Also: Beim CV ist es super schwer. Meine Erfahrung ist, wenn es keine Policy gibt, die sagt, dass wir offen sind für alle, alles und jeden, dann bist du darauf angewiesen, dass du in deinem Profil deine Erfahrungswerte überbetonst, um damit zu punkten. In meinem Bewerbungsprozess habe ich mit fünf oder sechs verschiedenen Leuten gesprochen in einer Altersspanne von fünfundzwanzig bis fünfundvierzig. Die eine sagte, lustig, du bist genauso alt wie meine Mutter, wo ich nur dachte, super, und was heißt das jetzt?

Es ist im Bewerbungsprozess ja immer so, dass du versuchen musst, dich möglichst von deinen eigenen Einschätzungen zu lösen und alles ganz stark zu objektivieren. Da hilft auch der Einsatz von KI-Tools. Solange du das noch nicht machst, bist du glaube ich schon einzelnen Personen und ihren Wertvorstellungen ausgeliefert. Das ist so. Aber das Alter ist nur ein Aspekt.

 

Policies können nicht alles. Macht es Sinn, dass in den Unternehmen intern auch an den Haltungen der Mitarbeitenden gearbeitet wird?

 

Total. Ich glaube, das ist der einzige Weg. Ist aber andererseits auch super schwierig, weil es einige gewachsene Erfahrungen gibt. Früher, so vor zwanzig, dreißig Jahren, haben viele eigentlich mit Mitte fünfzig aufgehört zu arbeiten, und das Mindset war bei den meisten eher so, dass sie nicht bis zum letzten Tag alles gegeben haben. Viele haben schon vorher ein bisschen eine ruhigere Kugel geschoben, hatten eigentlich gar keinen Bock mehr, haben sich auch mal lange krank schreiben lassen, haben Altersteilzeit genommen und so weiter. So etwas setzt sich natürlich in der Wahrnehmung fest. Hat jemand mit fünfundfünfzig noch die gleiche Power, wie jemand mit vierzig oder jünger? Um das zu öffnen, um diese Wahrnehmungsebene zu verlassen, musst du erst einmal diese Erfahrung gemacht haben: Da ist jemand, der ist fünfundfünfzig und haut total rein. Aber das ist ja jetzt gerade der Shift.

 

Die Älteren haben früher zumindest eher eine ruhige Kugel geschoben? Auch manche Achtzehnjährige sind …

 

… wie Achtzigjährige.

 

Es gibt übrigens dieses Jahr so viele Sechzigjährige in Deutschland wie nie zuvor. Der geburtenstärkste Jahrgang 1964 feiert gerade 60-Jähriges Jubiläum. Prägt der Boomer-Boom die Unternehmen? Wenn die alle keinen Bock mehr haben …

 

Ich kenne viele, die eher schon das Ende in Sicht haben und sich auch darauf freuen. Das heißt nicht, dass sie eine ruhige Kugel schieben. Aber die Frage ist schon: Wie ist dein Energielevel? Wie viel Neues packst du noch an? Was willst du noch bewegen? Oder stabilisierst du dich auf einem bestimmten Level oder fährst sogar etwas zurück? Weißt du, wenn ich an BAT denke, da gab es niemanden über fünfzig! Da bist du quasi automatisch raus. Da habe ich ehrlich gesagt schon gemerkt, dass es viele gibt, die zurückfahren. Aber Zurückfahren hat ja mehrere Aspekte. Das heißt nicht unbedingt, dass du schlechter arbeitest, das kann auch heißen, dass du mehr Erfahrung einbringen kannst, dass du deine Zeit besser einsetzt, dass du weniger Zeit für etwas brauchst. Das sind die positiven Aspekte.

Ich kenne aber ehrlich gesagt dann doch auch eine Menge Leute, und vielleicht ist das ein Phänomen bei großen Konzernen, denn anderswo würden diese Leute gar nicht überleben, die achtundfünfzig oder so sind, die nur darauf warten, dass man ihnen ein gutes Angebot macht.

 

Welches Angebot könnte denn so viel Ruhe versprechen, dass es ihnen gefallen könnte?

 

Das kann das Angebot sein, in Rente zu gehen, raus, raus, raus, Altersteilzeit. Ich kenne aber auch andere. Mein Mann zum Beispiel ist genauso alt wie ich, der hat vor zwei Jahren etwas ganz Neues gestartet, der ist komplett in dieser Aufbauphase und und ist voll euphorisiert. Und seine Partner sind nicht viel jünger! In meinem direkten Umfeld habe ich genug Beispiele von Leuten, die ü50, ü55 sind, die noch mal umschwenken, was ganz Neues machen. Aber ich kenne eben auch die gib-mir-einen-zwanzig-Stunden-Vertrag-und-ich-küss’-dir-die-Füße-Menschen. Also von-bis. Kommt einfach auf die eigene Motivation an.

 

Aber doch eher ein Phänomen, dass man tendenziell bei den Älteren antrifft?

 

Nein. Ich glaube, es ist ein gesellschaftliches Phänomen, das es bei den Älteren gibt, und das jetzt auch mehr und mehr bei den Jüngeren gibt. Die sagen von Anfang an: Ich will gar nicht mehr so viel arbeiten wie ihr alle, das ist nicht mein Lebensmodell. In den mittleren Jahren, so zwischen dreißig und vierzig, sehe ich das aber wenig.

 

Oh, spannend. Also betrifft das entweder eher nur die Älteren und die Jüngeren, Boomer und GenZ?

 

Genau. Ich hab’ oft diese Diskussion. Zum Beispiel mit meinen Kindern, die sind einundzwanzig und dreiundzwanzig. Der Ältere ist fertig und arbeitet schon seit anderthalb Jahren. In dem Freundeskreis sagen die, dass sie gar keine Lust auf das Leben haben, das wir geführt haben, in dem Arbeit einfach zum Leben dazu gehört, man viel Zeit damit verbringt und darin aufgeht.


„Reinhauen, Ärmel hochkrempeln, bevor du mal was forderst. Es kam aber auch immer was zurück. Da war dieses Versprechen, das damals aber auch immer eingelöst wurde vom Arbeitgeber.“


Das sind teilweise echt Freizeitoptimierer im besten Sinne. Ich versuche, das mal wirklich wertfrei zu sagen. Die wollen das nicht viel arbeiten, reinhauen und dadurch ordentlich Bestätigung kriegen als Return. Das ist überhaupt nicht deren Weltbild.

 

Da sind wir beide wohl anders sozialisiert.

 

Für mich war das eine Selbstverständlichkeit, eine richtig gute Ausbildung, dann aber auch erst mal richtig reinhauen, Ärmel hochkrempeln, bevor du mal was forderst. Es kam aber auch immer was zurück. Da war dieses Versprechen, das damals aber auch immer eingelöst wurde vom Arbeitgeber. Und das ist heute glaube ich anders. Das Versprechen wird nicht mehr eingelöst. Ein Aufstieg, ein bestimmtes Gehaltslevel. Du hast eine ganz andere Purpose-Diskussion, Sinnhaftigkeit und so. Und die Generation kann es sich auch definitiv leisten, diese Ansprüche zu stellen. 

 

Die jüngere Generation hat nicht mehr diese Aufstiegsmöglichkeiten?

 

Es gab bei uns diesen Automatismus, diesen Vertrag. Wenn du dich angestrengt hast, dann kam auch immer was zurück und es hat sich gelohnt. Ich glaube, das ist heute nicht mehr so. Es sind eben heute komplett andere Werte. Was mich schon damals total irritiert hat: Mein jüngerer Sohn hat schon mit zehn gesagt, ich möchte später nie so arbeiten wie ihr. Ich möchte nicht immer nur arbeiten. Hat der in dem Alter schon gesagt. Das hat mich voll schockiert, ich wäre nicht auf die Idee gekommen, meinen Eltern sowas zu sagen. Weißt Du, ich bin auch anders aufgewachsen, meine Mutter war eine sogenannte stay at home Mom, die hat gar nicht gearbeitet, deswegen stellte sich die Frage gar nicht. Das ist ja immer so eine Generationsgeschichte, wie grenzt du dich gegenüber deinen Eltern ab, womit kannst du dich eigentlich überhaupt abgrenzen als junge Person? Heute grenzt sich eine ganze Generation ab.

 

Ist das Abgrenzen der Treiber für die jüngere Generation?

 

Der Drive ist eher die Sinnhaftigkeit und die Möglichkeit, mehr zu reflektieren, sich zu fragen, was man im Leben wirklich will.

 

Wir hätten uns diese Fragen ja früher auch stellen können. Haben wir aber nicht, vielleicht auch geprägt durch unsere Eltern. Wenn jemand gesagt hat spring!, dann springst du. Und danach überlegst du, ob das so eine gute Idee war …

 

… genau, das hat unsere Generation geprägt. Und dann erkennst du aber irgendwie die gesamtgesellschaftliche Dimension. Das hat natürlich mit einer kritischeren Sicht auf Kapitalismus zu tun, mit Sinnsuche, mit den vielen Möglichkeiten der Erziehung, mit dem, was unseren Kindern früher zugemutet wurde. Wenn ich mir überlege, mit uns hat niemand diskutiert, wohin wir im Urlaub fahren. Da wurde sich hinten ins Auto gesetzt und dann zwei Tage nach Südfrankreich gefahren. Das war halt so. Wir haben mit unseren Kindern Diskussionen geführt. Da sagt der eine, hab’ ich aber keine Lust drauf, und ich so, hä? Du lernst heute, dass es viele Möglichkeiten gibt, dass du alles machen kannst, was du willst.

 

Warum fangen Eltern heutzutage diese Diskussion an?

 

Wir haben unsere Kinder eigentlich nicht aktiv gefragt, sondern die haben einfach angefangen zu diskutieren, und wir haben diese Diskussion zugelassen, die es in meinem Elternhaus nicht gegeben hätte. Ich glaube, das hat damit zu tun, welchen Stellenwert Kinder heute haben. Na, du willst alles optimieren, du willst es möglichst gut machen. Kinder sind nicht einfach nur da, sondern werden gefördert gepimpert und so weiter, und dadurch bekommen sie natürlich das Gefühl, anders ihre Meinung äußern zu können, einen anderen Stellenwert zu haben, das wird ja auch ständig bestätigt. Viele Eltern wollen glaube ich wenig Konflikte und mit ihren Kindern befreundet sein. Wenn ich mir überlege, was ich mich mit meinen Eltern gestritten habe, richtig gezofft! Das habe ich mit meinen Kindern so nicht erlebt. Nicht, weil sie so folgsam sind, ganz im Gegenteil, sondern weil wir uns anders arrangiert haben, weil wir auch einfach keinen Stress wollten. Das sind so gesellschaftliche Strömungen. Und jetzt bist du als Gesellschaft soweit, dass es viel zu wenig Nachwuchs gibt. Kinder haben einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft, in der Familie. Das zeigt sich in ganz vielen Aspekten.

 

Hast du da nicht eigentlich genau das beschrieben, dass das, was in deiner Familie passiert, auch in Unternehmen passiert? Dass man keinen Stress haben will mit den Jüngeren, gerade in Zeiten von Fachkräftemangel auf der einen Seite und einer sehr selbstbewussten Haltung der Jüngeren auf der anderen Seite? 

 

Bin ich total bei dir, wobei ich nicht glaube, dass der Treiber ist, dass Unternehmen keinen Stress wollen, sondern dass sie einfach sehen, dass sie darauf angewiesen sind. Eltern können immer sagen, das lass’ ich mit mir machen oder auch nicht. Aber als Unternehmen kannst du dir das nicht leisten. Die Mechanismen sind ähnlich, aber der Motivator ist ein anderer.

 

In Familien gibt es viele verschiedene Altersstufen, jeder hat ihre Eigenheiten, und zusammengenommen kann dabei im besten Fall etwas Schönes herauskommen. Kann man das auf Altersdiversität in Unternehmen übertragen, klappt das gut?

 

Habe ich bis jetzt als super wahrgenommen und finde es wirklich bereichernd. Zumindest bei bonprix. Ich kenne aber kleinere, familiengeführte Unternehmen, die ich beraten habe, wo das überhaupt nicht funktioniert hat.

 

Woran lag das, gerade bei Unternehmen mit einer überschaubareren Größe?

 

Ich glaube es liegt daran, dass familien- oder inhabergeführte, kleinere Mittelständler mit fünfzig Leuten, eben oft noch nach Gutsherrenart geführt werden. Dabei kann sich ein Mittelständler sowas heute nicht mehr leisten, aber ein Großunternehmen kann es sich schon seit langem nicht mehr leisten. Es hat damit zu tun, wie attraktiv du sein willst, wie du dich nach außen darstellst. Offenheit, Diversität, das steht natürlich für Modernität und macht dich attraktiv.


„Gemischte Teams funktionieren viel, viel besser. Das Wichtigste: Es muss gelebt werden, es darf nicht nur ein Aushängeschild sein.“


Ist Altersdiversität ein Brand Asset, ein Unternehmenswert, der über das Image hinaus geht?

 

Finde ich total, aber nicht als einziges. Es gehört für mich zu einem kulturellen Set-up, das ich persönlich sehr attraktiv finde. Nicht, weil ich betroffen bin, sondern weil ich einfach an Diversity, auch an Geschlechter-Diversity glaube. Ich denke generell, dass gemischte Teams viel, viel besser funktionieren. Das Wichtigste: Es muss gelebt werden, es darf nicht nur ein Aushängeschild sein. Dann ist es als kultureller Aspekt ein super Asset.

 

In Unternehmens im Bereich Personal heißt das Employer Branding. Es wirkt nach innen, um Mitarbeitende zu binden … 

 

(lacht) … Mitarbeitende, das sage ich nun auch immer, früher sagte ich immer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter …

 

… und es wirkt nach außen, um neue Mitarbeitende zu rekrutieren. Wie funktioniert vernünftiges Employer Branding?

 

Für mich ist es erst einmal am wichtigsten, dass du deine Employer Brand klar abgrenzt von der Corporate Brand und von der Consumer Brand. Du brauchst den Sweetspot in der Mitte, wo sich alle drei Brands vereinigen. Wenn du dann deine Employer Brand definierst, musst du es auch wirklich über alle Stufen des Circles vom Recruitment bis zum Outplacement durchdeklinieren und nicht nach dem Bewerbungsprozess aufhören, wie es ja bei so Vielen der Fall ist. Im Grunde wie bei jeder Consumer Brand Experience, die sich in jedem einzelnen Schritt äußert und fühlbar ist. Die Experience muss auch hier seemless sein. Vom ersten Gespräch bis zum abschließenden würdigen Handschlag. Sonst hast du immer Breaks, die sich insbesondere nach innen, aber auch nach außen manifestieren. 

 

Damit beschreibst du einen typischen linearen Funnel von Awareness bis Loyalty, vorne rein und hinten raus. Aber heute wird ja eher in Circles gedacht. Gibt es Employer Journeys, die nicht enden? Statt Duran Duran also Depesche Mode mit Never let me down again?

 

In meiner letzten Beratung hatten wir mal so ein Modell für einen Employer Branding Circle entwickelt, also nicht mehr „vorne rein“ und „hinten raus“. Für mich ist der Unterschied zum Funnel, dass du in jeder Stufe einsteigen kannst und das gleiche Gefühl hast. Aber es hat trotzdem einen entscheidenden Unterschied: Ja, du möchtest loyal Customers haben und du möchtest loyal Employees haben. Aber du möchtest als Unternehmen natürlich auch eine gewisse Fluktuation haben, weil es für die Kultur gut ist. Das möchtest du nicht unbedingt als Consumer Brand. Für das erleben einer Experience ist das Modell des Circles richtig, aber zugleich brauche ich von außen Neueinsteiger.

 

Kannst du dir ein Modell vorstellen, wie es manche Universitäten gerade im angelsächsischen Raum pflegen, dass Alumni der Uni verbunden bleiben? Bei Unternehmen wären das ehemalige ältere Mitarbeitende, die ihre Erfahrung auch nach dem Ausscheiden weiterhin einbringen?

 

Da bin ich mir nicht ganz sicher, auch wenn das eine sehr schöne Vorstellung ist. Wenn nämlich der Employer Branding Circle nicht richtig gut funktioniert und du, wie es oft der Fall ist, nicht im besten Einvernehmen auseinander gegangen bist, kann das schwierig sein. Wenn ich dich richtig verstanden habe, meinst du, wenn Unternehmen sich Backlogs von guten älteren Mitarbeitern aufrechterhalten, um damit auf den Erfahrungsschatz zurückgreifen können. Ich finde das eine sehr schöne Vorstellung, habe das aber noch nie erlebt. Ganz im Gegenteil, zum Beispiel bei BAT: Da wurden Leute in den vorgezogenen Ruhestand geschickt. Also, wir beide wären da schon längt in den Vorruhestand geschickt worden bei, – halt’ dich fest – siebzig Prozent deines Nettogehalts! Hmmm, finde den Fehler. So, diese Leute wurden dann noch einmal zu Projekten dazu geholt. Ich erinnere mich an keinen einzigen Fall, wo das für alle Beteiligten richtig gut war, weil sich nämlich oft die Welt in der Zwischenzeit schon so weitergedreht hatte und die Projekteinsätze nicht so perfekt geplant waren, dass die erfahrenen Altmitarbeiter quasi nur Erfahrungen hätten teilen können. Die wurden so in die Projekte involviert, dass ihr Erfahrungsschatz gar nicht richtig zum Tragen kommen konnte. 

 

Das war also sehr operativ getrieben. Haben Ältere nicht ganz andere Erfahrungen, die sie teilen könnten?

 

Da bin ich bei dir. Der Rat des Old Wise Man ist bestimmt im Alumni-Netzwerk viel wert, aber die wenigsten Tasks haben keine operative Seite. Ich habe das so erlebt, dass die mit ihrem persönlichen Erfahrungsschatz eigentlich komplett überfordert wurden, weil sie eben nicht nur als Sparringspartner hinzugezogen wurden, was wahrscheinlich schlau gewesen wäre. Tja, drei Computergenerationen später und die massiv veränderte Art und Weise, wie gearbeitet wird, da sind die meisten einfach dran gescheitert. Alumni … ich finde die Vorstellung schön, aber du hast da eine andere Ausgangsposition. Du hast eine gemeinsame Basis, die du schätzt, der du etwas zurückgeben willst. Dem Unternehmen willst du normalerweise nichts zurückgeben (lacht)

 

Ist das so?

 

Ja, in der Realität, würde ich sagen, leider schon.

 

Woran liegt das?

 

Das liegt eben an einer nicht optimal durchgeführten Employer Experience, dass es eben gerade beim Ausstieg oft doch noch böses Blut gibt. Dass eine lange, tolle Zeit eingefärbt wird durch einen üblen Abschied.  

 

Das heißt, Unternehmen müssen eine Employer gerechte Basis schaffen, die bereits beim Recruitment beginnt, die die Mitarbeitenden durch das Unternehmen trägt und die auch nach dem Abschied noch wirksam ist. Spielen die Unternehmensgröße oder die Branche dabei eine Rolle?

 

Wichtig ist vor allem, dass du während deiner aktiven Zeit eine sehr persönliche Bindung zu dem Laden hattest. Eine Employee Experience, die weitestgehend positiv ist, auf Augenhöhe, ehrlich, wertschätzend. Wenn du Glück hast, ist es auch noch persönlich, dass da Menschen sind, die du schätzt. Das wissen wir alle: Ein Unternehmen steht und fällt mit seinen Persönlichkeiten. Persönlichkeiten formen eine Kultur, und wenn du eine bestimmte Zielkultur hast, stellst du auch entsprechende Menschen ein, die zu diesem Kulturprofil passen und es weiter formen. Deine Experience kann aber durch eine Kleinigkeit getrübt werden, dann ist der Circle unterbrochen und du wirst da rauskatapultiert.

 

Eine solch gute Erfahrung vorausgesetzt: Was könntest Du dem Unternehmen BAT und den Menschen dort noch mitgeben?

 

Vor allem die Experience und das Wissen aus einer anderen Branche und einer anderen Kultur. Das ist natürlich wahnsinnig bereichernd. Wenn du Leute hast, die nicht einfach dreißig Jahre im eigenen Saft kochen, sondern den Blick von außen bekommen, und das zusammen mit einer langen Erfahrung. Da hast eine perfekte Mischung, würde ich sagen.

 

Kommt da Deine Lebenserfahrung, auch als zweifach Mutter, zum tragen? Jemand, der fünfundzwanzig ist, hat das in der Regel nicht.

 

Ich finde, dass das eine sehr wichtige Rolle spielt. Die meisten meiner Kolleginnen sind deutlich jünger als ich, und die fragen mich ganz oft so Sachen. Wie hast du das alles gemacht mit deinen Kindern, und wie würdest du in dieser oder jener Situation reagieren, also Fragen, die nicht immer ursächlich fachlich sind. Fachlich sind die selbst relativ gut drauf, da geht es mehr um meinen persönlichen Erfahrungsschatz. Ich kriege das immer zurückgespielt, dass die das als echte Bereicherung empfinden, weil die das in ihrem Umfeld natürlich nicht so haben.

 

Das klingt nach einer sehr harmonischen Generationsbeziehung. Wenn Du nun in einem Auto mit einer jüngeren Kollegin sitzt und Du dürftest einen Song aussuchen: Frankie goes to Hollywood mit Relax oder Talking Heads mit Burning down the House?

 

Depeche Mode mit Personal Jesus.

 

Katharina Lange hat in ihrer Laufbahn verschiedene Top-Marken entwickelt und geführt sowie Unternehmen in Veränderungsprozessen begleitet. Sie war rund 25 Jahre bei BAT in Hamburg, Prag und London beschäftigt. Zudem ist sie Dozentin an verschiedenen privaten Hochschulen. Nach mehreren Jahren als selbstständige Unternehmensberaterin hat sie mit 55 Jahren noch einmal eine Festanstellung bei bonprix angenommen. Katharina Lange lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Hamburg.


Chilli Peppers, Sushi und Pommes

Lieblingssongs/-interpretInnen:

Red Hot Chili Peppers

Lieblingsbuch/-Podcast:

Hamnet von Maggie O‘Farrell

Lieblingsfilm/-serie:

Succession

Lieblingsmarke:

Closed

Lieblinsgreiseziel:

Kapstadt

Lieblingsessen:

Sushi und richtig leckere Pommes

Lieblingsspruch:

hab’ keinen

Unterirdisch finde ich …

… Angeber.

Ich chille am besten, wenn ich …

… in einer Hängematte liegen kann.

Meine größte Freude ist es, …

… Zeit mit Freunden zu verbringen.