UWE WANGER, 65

GESCHÄFTSFÜHRER KIEL MARKETING

I just wanna feel real love

Feel the home that I live in

Cause I got too much life

Running through my veins

Going to waste

And I need to feel

Real love and the love ever after

I cannot get enough

– Robbie Williams, Feel

GoF: Uwe, Du bist Jahrgang 1958, Geschäftsführer von Kiel Marketing und in verschiedenen Vorständen …

 

Uwe: … ja, ich bin im Vorstand der Bundesvereinigung der Stadt- und Citymanagement-Gesellschaften, im Stadt-und Citymanagement LHK, ich leite die Marketingkooperation der Städte in Schleswig-Holstein, bin im Tourismus Verband SH, dann bin ich noch in der Arbeitsgemeinschaft Nord-/Ostsee, Nord-Ostsee-Kanal-Tourismus, im Marketingbeirat der Tourismusagentur Schleswig-Holstein, in einer Steuerungsgruppe vom Land für Tourismus. Und Kiel Marketing nun schon seit siebzehn Jahren …

 

… und Du warst meiner erster Chef. Wir beide kennen uns seit 1995, da war ich in Deiner Werbeagentur Transparent angestellt. So fing alles an.

 

Das ist manchmal echt erschreckend, wenn man sieht, dass etwas fast dreißig Jahre her ist. Ich kannte Dich ja vorher auch schon von der Muthesius-Hochschule.

 

Genau, da hast Du mit Rainer Jacken zusammen studiert und dann Transparent gestartet. Und 1999 habt ihr auch noch die Fluxx.com AG gegründet, die hieß dann später JAXX und dann MYBET, das war der erste Online-Wettanbieter. Eine Wahnsinnsgeschichte, mit dem IPO habt ihr es bis auf die Titelseite vom Handelsblatt geschafft. Wie konnte es soweit kommen?  

 

Das war, weil wir uns mit technischen Dingen und neuen Entwicklungen immer auseinandergesetzt haben. Wir haben das auch schon bei Transparent gemacht, da waren wir technologisch immer diejenigen, die ganz vorne dran waren. Wir hatten schon als Erste Apple Macintoshs und haben mit den kleinen Kisten Vierfarbsätze  generiert für Verpackungsdesign. Da hatten wir auf einmal Agenturen aus Hamburg bei uns sitzen, die sich das angeguckt haben, weil das ja völlig undenkbar war, dass man mit solchen Kisten Vierfarbsätze herstellen kann. Aber da hatten wir eben so rumgetüftelt und konnten das machen. Wir sind immer technisch ganz vorne gewesen, das hat uns einfach alles interessiert. Und dann kommt es eben so, dass man für den Kunden Lotto arbeitet, und nach der Grenzöffnung ’89, da kommt dann irgendwie das Internet so langsam auf. Es war uns ganz schnell klar, dass da im Bereich Lotto was geht. Warum sechzehn Lotto-Gesellschaften in Deutschland? Die machen alle dasselbe, das kann man doch wunderbar online spielen. Wir haben versucht, das mit den Gesellschaften gemeinsam zu machen, aber die waren dagegen, haben sich total gewehrt, weil sie alle Angst hatten, dass ihre Jobs flöten gehen. Da haben wir gesagt, dann machen wir das selber und haben Wege gefunden, das ohne die aufzusetzen und die rechtlichen Bestimmungen dennoch einzuhalten. War ganz schön schwierig, hat aber geklappt. Und so haben wir das erste Lotto im Internet gemacht. Dann ging’s weiter mit Pferdewetten und all solchen Sachen, aber damit haben wir uns aus meiner Sicht verzettelt. Deswegen kam es auch bei mir zum Ausscheiden, weil ich nur auf das Lotto-Geschäft fokussieren wollte. Zu der Zeit kam dann auch tipp24 auf, die haben genau da weiter investiert und haben uns dann nachher auch überholt. So kam das, man ist auch als First Mover nicht immer derjenige, der am Ende gewinnt. Aber so kam es damals halt zum Börsengang, zum schnellen Aufstieg, aber auch zu den Problemen am Ende.

 

Du warst also schon immer onlineaffin, und das schon zu der damaligen Zeit. Bist Du das immer noch, treibt Online Dich immer noch am stärksten?

 

Schon, klar, das ist immer noch so. Ich bin dann 2001 ausgeschieden und habe 2006 hier bei Kiel Marketing angefangen. Am Anfang hatten wir eine kleine Truppe von neunzehn Leuten, jetzt sind vierundfünfzig hier. Da habe ich von Anfang an die Weichen so gestellt, dass wir Online-Werbung machen, neue Wege gehen und unsere Zielgruppen genau ansprechen können. Und das, obwohl ich hier viele junge Leute immer um mich herum habe, Berufseinsteiger und so.


„Ich bin dann immer derjenige, der das hier einbringt.“


Aber damals war ich der Erste der gesagt hat, warum habt ihr alle keinen Facebook-Acccount? Junge Leute, die das nicht hatten und nicht wussten, was das ist. Da habe ich dann entsprechende Schritte eingeleitet, dass die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, und dann habe ich die Online-Abteilung aufgebaut. Jetzt sind da sechs Leute, die nur Online-Kommunikation machen. Wir reden über künstliche Intelligenz, dass wir uns damit auseinandersetzen müssen, dass wir Tools haben, die wir ausprobieren, und da bin ich dann immer derjenige, der das hier einbringt. Obwohl ich der alte Knochen bin, bin ich immer überrascht und entsetzt darüber, wie wenig sich junge Leute intensiv mit Neuerungen auseinandersetzen. 

 

Wie kommt das, warum bist Du der Treiber, liegt Dir das einfach in den Genen? Denn die Jüngeren sind doch die Digital Natives, das müsste denen doch im Blut liegen. Eigentlich müssten die doch die Treiber sein.

 

Das sind, ich sag’ mal, User-Idioten. Die schauen auf TikTok, machen da so ein bisschen mit, oder Insta und klicken und klicken. Aber was dahinter passiert, die gesellschaftliche Dimension, die Business-Dimension? Damit setzen die sich gar nicht auseinander. Ganz oft ist es so, dass sie sich überhaupt nicht vernünftig mit der Technik auskennen oder mit den Möglichkeiten. Ich bin derjenige, der hier allen predigt, macht euch das nutzbar! Ich zeige denen, wie man das macht, ich sage ihnen, was sie hochladen  müssen, wo sie mal was ausprobieren müssen.

 

Im Kern ist es also die pure Neugier, die erst einmal technikunabhängig ist. War man früher neugieriger, sind die Jüngeren heute weniger neugierig? 

 

Ich glaube schon, es ist einfach immer alles da, es wird ihnen immer alles mundfertig vorgesetzt. Das ist wie bei McDonalds essen gehen. Das wird dann halt so gemacht, aber dass die mal vorangehen, kann ich nicht sehen. Da muss man die schon hintreiben, und sagen, du machst das jetzt mal, du setzt dich damit auseinander, und du zeigst den anderen, wie das geht. Das hat bei mir auch nicht wirklich nachgelassen. Nicht umsonst gründet man eine Marketingagentur und hat seinen Spaß bei der Sache. Ich sehe immer den Spaß und das Positive darin. Klar sieht man auch, wohin das führen kann und wie problematisch das alles ist, man sieht ja die schlimmsten Science-Fiction-Visionen vor sich, was Maschine Learning und so weiter betrifft. Man sieht das auf sich zukommen, so nach dem Motto, genau so wird’s halt kommen.

 

Man fühlt sich ja in unserem Alter immer rund fünfzehn Jahre jünger, das heißt Du bist eigentlich Jahrgang ’73. Wirst Du in Deinem gefühlten Alter wahrgenommen von Deinem Team oder von anderen? Oder bist Du der alte weiße Mann für die anderen da draußen, Du hast ja etwas helleres Haar bekommen mit der Zeit.

 

Nö, so wie ich das einschätze, akzeptieren die mich sehr, weil ich immer derjenige bin, der sie vorantreibt. Ich glaube nicht, dass sie mich so sehen und ich habe immer gesagt, ich mache den Job so lange bis ich merke, dass ich hinterher laufe. Und das Gefühl habe ich noch nicht. Deswegen habe ich jetzt auch meine Rentenzeit zwei Jahre nach hinten rausgeschoben, habe den Job verlängert bis 2026. Weil eben noch so viele schöne Sachen zu tun sind und ich noch so viel umsetzen will. Ich bin immer noch neugierig drauf, neue Dinge zu machen, andere Sachen zu machen, ich sage mal clevere Sachen. So arbeite ich zum Beispiel nicht mit einer Mediaagentur klassischen Zuschnitts zusammen, sondern mit einem technischen Dienstleister im ganzen Onlinebereich. Das ganze Beratungsgeschnacksel kann ich mir sparen, das weiß ich selber, was es da gibt. Ich weiß genau, was ich will, und dementsprechend habe ich meine Mitarbeiter dahin gebracht, dass sie das auch so verstehen.

 

Verfolgst Du diese Debatte, die zunehmend hochkocht und einen Konflikt ausmacht zwischen GenZ und Boomern? Bei Dir im Team läuft es auch zwischen den Generation ganz gut. Ihr habt ein gutes Miteinander, Du treibst ein bisschen an, und das wird offenbar gut angenommen.

 

Ich sehe nicht, dass es einen Konflikt gibt. Nur, dass dieses Work-Life-Balance-Thema immer mehr in den Vordergrund geht. Da sind immer mehr Leute, die einen Job haben wollen, der keine vierzig Stunden mehr hat, die sind mit dreißig, zweiunddreißig Stunden zufrieden. Es gibt die, die von der Schule kommen und auch so anfangen wollen, nur noch drei Tage in der Woche arbeiten, aber gleichzeitig viel mehr Geld haben wollen, obwohl sie null Erfahrung haben. Die lässt man halt laufen – na, da werd’ mal glücklich, auf welcher Basis willst du denn die Kohle haben, warum? Hast gerade den Bachelor in der Tasche, mach’ mal deinen Master, sammle mal Berufserfahrung, dann können wir darüber reden. Es gibt schon so eine Tendenz, dass Leuten sagen, das muss alles so passen, ich fang’ lieber erst um 10 Uhr an und so. Aber als Konflikt sehe ich das nicht. Viele machen hier ihre Praktika und sind dann oft froh, dass sie gleich losgelassen werden – und liefern müssen.

 

Du hast mir als mein Chef damals auch viele Freiheiten gelassen, Verantwortung gegeben, mich laufen lassen, und das war klasse, es war sehr prägend. Das gibt dann immer mehr Selbstvertrauen. Die Jüngeren mit ihren Forderungen werden heute von vielen als zu selbstbewusst wahrgenommen. Welche Erfahrungen machst Du?

 

Ich würde es nicht so verallgemeinern, dass alle so selbstbewusst sind. Da sind einige dabei, die sortiere ich dann aber aus, wenn sie bei uns arbeiten wollen und wenn sie nicht die entsprechende Expertise oder Erfahrungen haben.


„Die guten Leute probieren alles aus, und die machen dann auch ihren Weg.“


Es gibt nach wie vor jeden Typ von Mensch, aber vielleicht hängt sowas auch mit Erziehungsmethoden zusammen. Wenn Kinder für alles, was sie machen, über den grünen Klee gelobt werden … Ach, toll, der Kleine, was der da wieder macht, dabei macht der Kleine den größten Mist. Dann werden die natürlich selbstbewusster und wundern sich in der wirklichen Welt, dass sie da voll vor die Wand laufen, weil es eben nicht alles toll ist. Also, diese Unbekümmertheit ist da, viele meinen, sie haben was ganz Neues entdeckt, und wir alten Hasen sagen, tja, das habe ich in den achtziger Jahren schon so gemacht. Da kommt ja vieles wieder hoch, viele Trends.

 

Das Unbekümmerte in dem Alter gab es auch schon früher, und das ist ja auch gut so. Einfach mal etwas machen, etwas ausprobieren, es muss ja nicht perfekt sein, ganz im Gegenteil. Bekommt das alles heute eine neue Qualität? Das Unfertige bekommt eine Bühne, die den Anschein erweckt, es sei perfekt? Ist Social Media nur ein Ort für ausgeprägte Selbstdarstellung?

 

Das ist wohl wahr. Die Leute können sich mehr ausprobieren, und dann bekommen sie auf einmal eine große Resonanz, kriegen fünftausend Klicks und glauben, sie sind wer weiß was. Irgendwelche Influencer, die mit ihren Reichweiten herkommen und hohe Beträge aufrufen für irgendwelche Beiträge, die sie produzieren wollen. Kann man drauf reinfallen oder man kann sagen, nee, zieh’ mal weiter, du bringst mir gar nix, keinen Verkauf zusätzlich für deine Reisebeiträge, die du da liefern willst. Klar, die haben mehr Möglichkeiten, sich auszuprobieren oder auch mit einfachen Mitteln gute Leistungen zu erzielen. Mit den schönen Grafikprogrammen, die es mittlerweile gibt, und mit diesen ganzen Assistence Tools für Instagram und für andere Social Media Plattformen können sie natürlich auch Dinge liefern, die schon sehr professionell aussehen, obwohl sie nur drei Mal geklickt haben. Ich sehe es ja selber, wenn ich irgendwelche kleinen Filmchen mache. Das kann ich sogar machen, wenn ich im Supermarkt in der Schlange an der Kasse stehe. Die guten Leute probieren alles aus, und die machen dann auch ihren Weg, die sind nicht so verbohrt, dass sie sagen, ich kann alles. Die wollen lernen.  

 

Vieles hat man aber erst nach dem Studium im Job gelernt. Ich folge übrigens auf Instagram @geheimtipphamburg, das fand ich immer super. Seit einiger Zeit haben sie umgestellt auf Videobeiträge, in denen die Tipps von Jungs und Mädels im Alter meiner Kinder kommen. Damit fühle ich mich jetzt nicht mehr so angesprochen, ich bekomme den Eindruck, dass ich dort dann auch nur Youngster antreffe. Manchmal frage ich mich, ob es in den Marketingabteilungen der Unternehmen und in den Agenturen eine Mehrzahl Jüngerer gibt, die gar nicht sehen, was für eine große und kaufkräftige Zielgruppe 50-, 60-, 70plus da draußen ist und dass die in vielen Fällen vernachlässigt wird.  

 

In Social Media kommt ja viel von jungen Leuten für eher junge Leute. Wir sind da auch in verschiedenen Kanälen unterwegs, und wir haben das im Blick. Wir machen zwei Mal pro Woche eine Konferenz und besprechen den Themenplan. Heute hatten wir gerade wieder ein Meeting, und da sagte die zuständige Leiterin, wir haben zu viele junge Leute als Models, wir brauchen mal welche im Alter über 35. Fand’ ich gut, dass sie das selber bemerkt hat. Ich selbst folge diesen Sachen kaum noch, nur noch ganz wenigen. Man macht sein eigenes Ding und sucht nur noch ganz gezielt. Ich vermisse da ehrlich gesagt auch nichts. Man merkt es ja am ehesten in der Club- und Party-Szene, dass man älter wird, da gehst du auch nicht mehr zu jedem Kram hin. Du bist mehr bei Freunden oder es gibt halt ein paar andere Formate, die passender sind.  


„Ich persönlich fühle mich da eben mit 65 überhaupt nicht angesprochen.“


Wir machen gerade eine Kampagne für die Städte, und da hat die Agentur mit unserem Online-Team Models rausgesucht, die alle über 60 sind und die auch so aussehen. Unsere Zielgruppen-Definition beginnt aber bei Menschen ab 35 Jahren. Die suchen wir, also nicht unbedingt die 65jährigen oder die 70jährigen. Ich habe dann gesagt, Leute wie passt das zusammen? Da hat die Frau aus der Werbeabteilung einer unserer Partner-Tourismusagenturen noch nicht einmal die Frage verstanden. Ich wollte erklären, dass die Models zwar ganz gut aussehen, die da jetzt 65 und älter sind. Dass das in sich auch stimmig ist, das Ganze. Aber ich persönlich fühle mich da eben mit 65 überhaupt nicht angesprochen. Klar, ich bin in dem Alter, aber ich will nicht von denen Tipps bekommen, wo man hinfährt. Das hört sich für mich alles nach Pantoffeln an und nach was Ruhigem oder so. Ich fühle mich eher von jüngeren Leuten angesprochen, von 40jährigen oder 35jährigen.

 

Da sind wir wieder beim gefühlten Alter …

 

… ja, weil man eben glaubt, man kann das noch alles, man mischt da ja voll mit. Ich sehe das nicht so, dass Ältere ihre eigenen Websites brauchen, eigene Geschichten von Älteren oder eigene Produkte. Ich rege mich schon darüber auf, dass Facebook, Instagram und X, die ja alle sehen, dass man über 65 ist, dass die mir ständig Werbung von Treppenlifts und so einspielen. 

 

Die Lösung wäre also nicht, dass man attraktivere altersgleiche Models und alterspassende Angebote in der Werbung braucht?  

 

Wenn die mir immer diese Werbung ausspielen, das nervt mich tierisch, diese  Treppenlifte, Zeug gegen Schlafstörungen. Man merkt ja selber, dass man ein  bisschen älter wird, wenn manchmal was weh tut. Aber da kann ich mich selber drum kümmern.

 

Warum denkst Du, werden Ältere mit dieser Art der Ansprache konfrontiert? 

 

Weil man eben total falsch eingeschätzt wird und weil vielleicht junge Mediabeauftragte in den Unternehmen denken, die sind 65, die brauchen das jetzt. Ohne zu reflektieren, dass die noch mitten im Leben stehen, noch berufstätig sind oder einfach agil sind und ganz bestimmt nicht über einen Treppenlift nachdenken. Ich kriege auch vom Roten Kreuz Emails für Notfallarmbänder. Das nervt mich total, dass ich damit überschwemmt werde, weil es mir immer vor Augen führt, dass ich jetzt älter bin. Vielleicht wollen die auch nur über mich meine Eltern ansprechen! Kann ja sein, wäre ja mal eine Idee. (lacht)

 

Die Verantwortlichen in den Unternehmen folgen oft einem stereotypen Klischee. Diese falschen Rolemodels werden auch durch andere Medien, besonders durch das Fernsehen verstärkt, und wie ich finde gerade im deutschen Fernsehen. Das Klischee der betulichen Älteren wird dort in vielen Produktionen regelrecht zelebriert und es wird damit immer mehr verfestigt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Älteren selbst anfangen, daran zu glauben, dass sie jetzt ja alt sind und sich dementsprechend verhalten müssen.

 

Ja, ganz genau, die fangen an, sich anders anzuziehen …

 

… beigefarbene Hosen und karierte kurzärmelige Hemden. Du hast auch gerade ein kariertes Hemd an, Uwe! Aber das ist was anderes, es ist so ein dickes Holzfällerhemd …

 

… das ist was anderes, das wollte ich gerade sagen! Das habe ich von meinem Sohn bekommen, weil der auch immer sowas trägt. Und ich war heute beim Friseur.

 

(Uwe streicht sich gespielt durch sein Haar. Man muss dazu sagen: Uwe hat immer etwas längeres Haar getragen, und er hätte eine gute Figur im Drei-Wetter-Taft-Spot abgegeben. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir damals mit seinem hellblauen Porsche auf einen Kundenparkplatz zum Agenturvorstellunsgtermin rauschten, und während ich mich mit Mappenkoffer und Zeug von kurz überm Asphalt nach oben aus dem Wagen schälte, wehte Uwes Haar bereits leicht im Wind. Den Kram haben wir dann aber zusammen reingetragen. Und den Kunden haben wir auch gewonnen.)

 

Ah, sehr schön. Du trägst immer noch gerne etwas länger. Hattest Du eigentlich jemals richtig kurze Haare?

 

Nee. Ok, in der Grundschule musste ich zum Friseur. Da hat mich der Lehrer mit einen blauen Brief nach Hause geschickt, da stand drin, meine Eltern sollen dafür sorgen, dass ich einen anständigen Façonschnitt bekomme.

 

Façonschnitt? Mit dem Begriff kann heute doch wahrscheinlich kein Friseur mehr etwas anfangen.

 

Das ist so, wie sie alle heute rumlaufen, die Seiten kahl und dann noch da oben so ein bisschen länger, so ein Wehrmacht-Landserschnitt.

 

Heute heißt das Undercut.

 

Ich weiß, das kriegt einen anderen Namen, und dann ist es modern, aber eigentlich ist das das Zeug aus den dreißiger und vierziger Jahren.

 

Von welchem Unternehmen oder von welchen Marken fühlst du dich eigentlich besonders angesprochen, hast Du Lieblingsmarken?

 

Klar, Apple ist eine Lieblingsmarke von mir. Schweren Herzens habe ich mich vor zwanzig Jahren umorientieren müssen von Mac auf PC, weil diese Bürowelt, in der ich lebe, ist halt mehr PC. Das machte alles nur schwieriger, aber jetzt geht das schon besser. Und bei Schuhen habe ich gerne bequeme Schuhe an mittlerweile, zum Beispiel die hier von On (… hebt sein Bein nach oben und zeigt mir seine On-Sneaker). Da merkt man gar nicht, dass man die anhat. Und bei den Klamotten, joa … da gehe ich gerne bei Massimo Dutti einkaufen oder bei Zara. Also, ich gucke schon darauf, dass ich nicht so alten und schluffigen Kram trage. Aber ich bin kein Markenfetischist, ganz im Gegenteil. Ich weiß ja, wie Marken gemacht werden und habe auch Modekunden betreut und weiß, wie sie es machen. Das kommt eher von außen, dass meine Kinder sagen, Papa, du kannst doch nicht mit solchen  Sachen rumlaufen, wenn sie sehen, dass da kein Markenlabel dran ist. Die stehen total darauf, obwohl ich versucht habe, ihnen das transparent zu machen, dass es nicht darauf ankommt. Und meine Frau achtet darauf, dass ich nicht solche no-Name-Hemden anhabe, sondern was von Marco Polo oder von Hilfiger oder so. Oder wenn sie mir Socken mitbringt, dann haben die auch ein Markenlabel. Aber dass ich so verrückt drauf bin, nee, ganz im Gegenteil. Es muss gut aussehen, muss Komfort haben, muss farblich passen, und dann ist egal, wo es herkommt.

 

Die Marken, die du gerade genannt hast, Apple und On, werben altersunabhängig. Die vermitteln eher ein Lebensgefühl, das Produkt steht im Vordergrund, und wenn da Models eingesetzt werden, sind es auf keinen Fall Ältere.

 

Diese spezifische Ansprache über Bilder, wo Ältere abgebildet werden, funktioniert auch nicht. Es gibt dafür immer mehr Ansprachen, die generationsübergreifend sind, wo immer alles dabei sein muss. Was mich, wenn ich überhaupt mal fernsehe, langsam aufregt, ist, dass immer alles divers sein muss, es muss immer ein schwules Pärchen dabei sein, lesbische Pärchen, Farbige – diese krampfhafte Gleichmacherei nervt mich. Was soll mir denn hier jetzt vermittelt werden? Ich habe selbst schwule Freunde, das ist es nicht, aber mir geht dieses Anbiedern einfach zu weit.

 

Diversity ist ein großes Thema, auch Altersdiversität wird von vielen Unternehmen thematisiert. Nach meinen bisherigen Beobachtungen wird das öffentlichkeitswirksam propagiert, aber in der Realität sind Ältere in vielen Unternehmen nicht wirklich repräsentiert.

 

Das ist sicherlich so, dass im Bereich Diversity das Thema „Ältere“ noch etwas ausgeklammert ist. Aber ich glaube, dass der Markt das richten wird, gerade wegen des Personalmangels. Dass man froh ist, wenn man Ältere im Unternehmen halten kann, dass man den Job für die auch vielleicht ein bisschen anpasst. Ich selber habe hier gerade im Servicebereich in der letzten Zeit nur Ältere angestellt. Weil junge Leute kein Bock drauf haben, und weil sie dann zu schnell wieder weg sind. Die sind eben nicht wie du und ich, da sind mir verlässliche Ältere einfach lieber. 


„Na, denen sage ich eben, dass ich noch einmal zwei Jahre verlängert habe.“


Letztens führte ich ein Gespräch mit einem 67jährigen Freiberufler, der sagte „Ich habe überhaupt gar keine Lust aufzuhören“, und ein anderer sagte mir einmal „Ich fühle mich nach wie vor getrieben“. Dieser Drive, den Ältere oftmals haben, ist vielen gar nicht bewusst.

 

Das glaube ich auch. Bei mir rufen jetzt auch öfter Leute an und fragen, hey wie lang machst du das eigentlich noch, weil sie vielleicht scharf sind auf den Job. Na, dann sage ich eben, dass ich noch einmal zwei Jahre verlängert habe. Warum denn, fragen die. Weil ich Bock drauf hab’, weil’s mir Spaß macht. Es macht mir einfach Spaß, dieses Umfeld zu haben, es ist eine tolle Branche. Marketing zu machen ist toll, und Tourismus ist noch toller. Wenn ich den Spaß nicht hätte, würde ich das auch nicht länger machen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es vielen so geht, die einfach Spaß in ihrem Job haben. Das ist auch ein Lebensgefühl, das man da hat, nämlich dass man dazugehört, dass man dabei ist. Man trifft ab und zu schon auch Kollegen, die man jahrelang gekannt hat und die jetzt ausgeschieden sind. Die ersten drei Jahre sind gut, dann machen die auf Kreuzfahrt, machen Urlaub, und dann sind sie nur noch im Garten. Man merkt schon, dass der Spaß an der Freizeit im Pensionsalter schnell verloren geht. 

Ich habe neulich eine ehemalige Stadtführerin von uns angerufen, die ist jetzt 69 und hatte aufgehört, weil auch ihr Mann in Pension ging. Dann sage ich zu ihr, wie ist es denn jetzt so? Dann guckt sie so und wird ganz ernst … und dann: Also ehrlich, es ist scheiße. Erst haben wir Kreuzfahrten gemacht, dann habe ich den Garten gemacht. Und nun nervt mich mein Mann den ganzen Tag, weil er zu Hause rumhängt und immer irgendwas will von mir. Es ist richtig scheiße, wenn man nichts zu tun hat. 

 

Und wie ist es bei Dir? Irgendwann einmal wirst Du ja aufhören mit dem Job.  

 

Meine Frau hat auch schon einen Horror davor, wenn ich dann zu Hause bin. Ehrlich gesagt mache ich mir schon Gedanken, ob das so toll ist. Naja, du bist dann ja nicht mehr wichtig, bist dir nur noch selbst wichtig und deiner Familie vielleicht. Davor habe ich schon ein wenig Angst, wie ich die Zeit so rumkriege. Was dann ist, ob ich dann immer noch Bock habe zu arbeiten oder mich ehrenamtlich engagiere oder mit meinem Kumpel rund um Mallorca wandere oder noch mehr Tennis spiele, nicht nur ein Mal die Woche, sondern drei Mal die Woche … vielleicht reicht das, mal sehen. Aber ja, ich mache mir schon Gedanken.

 

Hast Du Angst davor?

 

Nee, Angst habe ich nicht. Ich habe höchsten Angst, dass es eine gewisse Langeweile geben könnte. In meinem Job machst du jeden Tag etwas Neues, du treibst andere an, andere  Sachen zu machen, du denkst immer voraus. Und dann irgendwie lässt du nur noch kommen, schaust, was da so kommt.

 

Das kann ich mir bei Dir aber gar nicht vorstellen, es entspricht doch gar nicht Deiner Einstellung. Du hast nie einfach etwas auf Dich zukommen zu lassen.

 

Das könnte aber sein.

 

Ich bin ja noch jünger als Du, aber manchmal frage ich mich auch, was dann wird. Ich kann mir nicht vorstellen, nicht zu arbeiten oder nicht eine Aufgabe zu haben, die mich ausfüllt und erfüllt.

 

Das kann ich mir gerade auch nicht vorstellen. Aber eins kann ich Dir schon mal sagen: 65 geht ganz schnell.

 

Super.

 

Dann denkst du, ach ja, wenn ich erstmal 60 bin. Dann bist du auf einmal 60 und dann bist du schon 65. Zack-zack. Und du merkst es gar nicht. Du merkst das nur, wenn du mal die Brille aufsetzt und in den Spiegel schaust. Es stimmt schon, was andere Leute auch schon gesagt haben: Dass du älter wirst, merkst du echt nur, wenn du in einen Spiegel guckst. Du fühlst das ja nicht, Dein eigenes Alters-Ego ist ja nicht 65. Das ist bleibt ja bei 30, 35 oder 40 stehen. Da wo man eine gute Zeit hatte. Man muss immer machen, was gut ist und passt. Und man darf nichts aufschieben.

 

Uwe Wanger, 65, gründete nach dem Studium als Co-Partner die Werbeagentur Transparent in Kiel und startete 1999 mit Fluxx.com den ersten Online-Wettanbieter. Seit 2006 ist er Geschäftsführer der Kiel Marketing GmbH und ist zudem Vorstandsmitglied in verschiedenen Unternehmen und Verbänden im Bereich Tourismus in Schleswig-Holstein. 


Life, Love und lange Listen

Lieblingssongs/-interpretInnen:

Meine Lieblingsplaylist bei Spotify ist „Van Life“; wenn es denn ein Interpret sein soll ist es Van Morrison (obwohl ich ihn nur noch selten höre) und Robbie Williams mit „Feel“ oder John Coltrane mit „A love Supreme“ oder, oder, oder …

Lieblingsbuch:

„Im Grunde gut“ von Rutger Bergman, „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari, „Der Hunderjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson

Lieblingsfilme/-serien:

Serien „Suits“; „Peaky Blinders“; Film: „Garp und wie er die Welt sah“; „Matrix“ von 1999

Lieblingsmarke:

Apple, Marco Polo, Massimo Dutti, Olymp-Hemden

Lieblinsgreiseziele:

Sóller auf Mallorca, Kalifornien, San Francisco, New York

Lieblingsessen:

Geschmorte Ochsen-Bäckchen, Pasta mit Trüffel, Paella, Bio-Backhähnchen … das würde eine lange Liste werden.

Lieblingsspruch:

Lerne leiden ohne zu klagen. Carpe Diem. Erfinde dir deine eigene Zukunft.

Unterirdisch finde ich …

… Kosmetik Influencerinnen, Reality Serien

Ich chille am besten, wenn ich …

… im Kreise meiner Familie bin, wenn ich Urlaub habe, wenn ich am Strand von Kiel spazieren gehe, wenn ich mit einem guten Glas Wein einen guten Film sehe.

Meine größte Freude ist es, …

… dass meine Kinder glücklich sind, dass ich meine Frau noch immer liebe, dass ich gesund bin, dass ich in Deutschland lebe und nicht in einem Krisengebiet.


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