ADRIAN SCHAFFNER, 59

GRÜNDER UND GESCHÄFTSFÜHRER EVOQ AG

I want to fly like an eagle

To the sea

Fly like an eagle

Let my spirit carry me

I want to fly like an eagle

’Til I'm free

Right through the revolution

– Steve Miller Band, Fly like an Eagle

Adrian Schaffner habe ich 2008 kennengelernt, als wir bei DDB Düsseldorf mit einem größerem Team für den Kunden Airberlin gearbeitet haben. Adrian war für das Design der Flugzeuge zuständig, der Rest des Teams für die Kommunikation. In Zürich hatte Adrian im Jahr zuvor mit einem Partner die evoq communications AG frisch gegründet, nachdem er zuvor vierzehn Jahre bei Interbrand in Zürich und Köln war.

Später habe ich erst als Freelancer, später in Festanstellung für evoq gearbeitet. Dabei konnte ich en passant auch die Schweiz kennenlernen, was für mich als Nordlicht etwas ganz Besonderes war, denn für mich begann südlich der Elbe eigentlich Italien, und Berge hatte ich immer eher gemieden. Ein großer Fehler. Genau so, wie zu glauben, die Schweiz beurteilen zu können. Das Land ist zwar etwas abgeschottet, dabei aber so vielfältig, allein aufgrund der Mehrsprachigkeit. Das machte jede Kommunikationsaufgabe in strategischer wie auch in kultureller und sprachlicher Hinsicht deutlich komplexer, als vermutet.

Die Zusammenarbeit mit Adrian war dabei immer ein besonderes Vergnügen: Ruhig, klar, auf den Punkt. Das schönste Erlebnis war stets, wenn Adrian in einer Diskussion konzentriert zuhörte, denn man sah in seinem Blick, dass alles Besprochene fein säuberlich mit höchster Aufmerksamkeit aufgenommen, verarbeitet und bis aufs kleinste Detail hin und her gedreht, gewendet und abschließend bewertet wurde. Man konnte live erleben, dass Schweizer nicht, wie gemeinhin angenommen, langsamer sind, sondern dass hier in Höchstgeschwindigkeit ein Prozess abläuft, der exakt die Zeit braucht, die er eben braucht, damit am Ende ein treffendes Ergebnis herauskommt. Und das kam bei Adrian dann auch immer. Auf den Punkt.

~

GoF: Moin, Adrian! Wie begrüßt man sich eigentlich auf Schweizerdeutsch?

 

Adrian: Hoi, Ralf! Zumindest, wenn du draußen in den Bergen unterwegs bist und nicht gerade am Züriberg am Flanieren, dann duzt man die Leute eben. Oder Grüezi oder Grüezi Mitenand. Im Tessin sagt man Salve

 

Salve! Wie in Asterix und Obelix. Salve, Cäsar …

 

… das ist tatsächlich der typische Berggruß für jemand, der italienisch spricht. Und im rätoromanischen Teil Graubündens sagt man bun di. Oder allegra. Ist halt ein viersprachiges Land, das wird häufig vergessen. Mit Hochdeutsch fünf.

 

Kommt es von Deiner Zeit bei Interbrand in Köln und Zürich, dass Du auch ein recht klares Hochdeutsch sprechen kannst? Bist Du der deutscheste unter den Schweizern?

 

Ist ja lustig. Wenn ich mit Deutschen zusammen bin oder mit Leuten aus der Grenzregion, dann meinen viele, ich käme mit meinem Einschlag im Hochdeutsch nicht wirklich aus der Schweiz, eher so Richtung Österreich oder aus dem Allgäu.

 

Ist es unangenehm für Dich als Schweizer, das zu hören?

 

Nee, das ist überhaupt nicht schlimm. Ich finde das ganz okay. Ich bin ja nicht wie ein Hamburger, der tönt ganz anders, oder? Ich habe immer versucht, mich da ein bisschen anzupassen und nicht allzu sehr den Exoten rauszuhängen, wenn ich in Deutschland unterwegs war. Ich war viel unterwegs und wahrscheinlich war mein Hochdeutsch damals sogar noch besser als jetzt, weil ich inzwischen weniger unterwegs bin in Deutschland.

 

Ich finde die Mehrsprachigkeit in der Schweiz sehr spannend. Auf der einen Seite werden die Schweizer landläufig als Volk wahrgenommen, dass sich immer ein wenig abschottet, auf der anderen Seite gibt es diese Mehrsprachigkeit. Es heißt ja, Sprache schaffe Wirklichkeit – dann müsste die vielsprachige Schweiz doch vom Wesen her eigentlich sehr offen sein, weniger Abgeschlossenheit.

 

Das mit der Abgeschlossenheit, das hat sicher was. Ganz interessant: Es gibt so eine Nachrichtensendung in der Schweiz, die heißt zehn vor zehn, da hatten sie das Thema, dass die Schweizer eben im Vergleich zu anderen Ländern Mühe haben, Kontakte zu pflegen und zu schaffen. Anders als die Amis, die im Smalltalk halt sehr schnell mit den Leuten ins Gespräch kommen. Oder zum Beispiel auch Köln. Wenn man da in eine Kneipe ging, war nach 30 Sekunden der Kontakt zum Nachbartisch hergestellt. Das hättest du in der Schweiz nicht. Du würdest da eher ein bisschen schräg angeguckt. Aber Beziehungen werden extrem gepflegt. Das ist etwas, was hier wirklich einen hohen Stellenwert hat. Es gibt zum Beispiel extrem viele Vereine, Turnvereine, Sportvereine, Interessenvereine. Ein Dorf hat 100 Einwohner und 50 Vereine. Das wird extrem gepflegt. Da ist der Büezer (Anm.: der Arbeiter) genauso vertreten, wie der Bankdirektor. Das geht völlig reibungslos und man geht sehr unkompliziert miteinander um.

 

Im Verhältnis nach außen, zum Beispiel zur Europäischen Union, bleibt die Nähe aber verhalten, es gibt nur Rahmenverträge innerhalb des Europäischen Binnenmarkts. Sind die Schweizer speziell den Deutschen gegenüber etwas reserviert?

 

Eine gewisse Reserviertheit ist sicher vorhanden. Das kann ich absolut nachvollziehen. Was eben schon häufig unterschätzt wird, dass die Kulturen recht unterschiedlich sind. Das ist wahrscheinlich der Grund, wieso diese Reserviertheit vorhanden ist. Dass für einen Durchschnittsschweizer der Eindruck entsteht, dass jemand, der aus Deutschland in die Schweiz kommt, das Gefühl hat, da haben wir noch ein weiteres Bundesland im Süden. 

 

Das achtzehnte Bundesland, da ja Mallorca bereits Nummer siebzehn ist?

 

Genau, „Mallorca zwei“. Die sprechen da ein bisschen seltsam, aber sonst ist das genau das Gleiche. Und das ist es halt nicht. Das ist es definitiv nicht. 


„Man ist nicht konfrontativ unterwegs, man versucht Dinge auszuhandeln, zu besprechen, zu kneten, Lösungen zu finden.“


Was zum Teil Deutsche zum Wahnsinn treibt, ist, dass man ewig um den heißen Brei herumreden kann. So würde es der Deutsche sagen. Sag’ doch mal endlich, was Sache ist. In der Schweiz kennt man die Konkordanzpolitik. Gegenteilige Meinungen werden in der Politik beredet, um im Idealfall einen Kompromiss zu finden. Man ist nicht konfrontativ unterwegs, man versucht Dinge auszuhandeln, zu besprechen, zu kneten, Lösungen zu finden. Das hat auch in der Politik eine ganz, ganz tiefe Bedeutung. Jetzt muss zum Beispiel die Bundesrätin von der SP, also von den Linken, die eigentlich ja die Gewerkschaften vertritt, als neue Innenministerin die Haltung des Bundesrates vertreten, und diese beschlossene Haltung ist ganz anders als ihre eigene. Gegen ihre eigentliche Überzeugung tritt die nun auf ein Podium oder geht zu Fernsehdiskussionen und vertritt vehement diese Haltung, und zwar nicht gespielt. 

 

Das würde man in Deutschland nicht verstehen.

 

Das ist aus einer Urdemokratie entstanden, statt einer Opposition, so wie man es eigentlich sonst fast in jedem Land kennt, wo es einen politischen Gegner gibt, wo in den politischen Kampf gezogen wird, versucht man hier, gemeinsame Lösungen zu finden.

 

Das macht Arbeit und Mühe.

 

Sich miteinander auszutauschen, Gemeinsamkeiten zu finden, Kompromisse einzugehen. Das macht Dinge langsam. Die Schweizer gelten ja auch nicht als die Schnellsten. Das hat sicher damit zu tun, dass Dinge halt überlegt sind und besprochen werden, die schnelle Lösung ist meistens nicht der Weg ist, der gegangen wird. Es ist zumindest das Selbstverständnis der Schweiz.

 

Du bist selbst unermüdlich, in Deinem LinkedIn-Profil hast Du eine Empfehlung erhalten: „Adrian ist ein unermüdlicher (wirklich!) Leader und Mentor.“  Vierzehn Jahre Interbrand, Gründung und Leitung von evoq, diverse Outdoor Sportarten von Klettern über Kajaken, Skitouren, Gleitschirmfliegen bis Curling. Du hattest dann beim Gleitschirmfliegen einen heftigen, lebensbedrohlichen Unfall und hast Dich wieder aufgerappelt. Vor Kurzem beim Curling ein ähnliches Erlebnis, Unfall, Reha, aufrappeln. Du bist schon jemand, der immer und immer wieder durchstartet.

 

Ja, das ist schön, dass du das so siehst. Keine Ahnung, ich weiß auch nicht. Also, da eine Antwort zu finden ist, fällt mir jetzt nicht gerade so leicht. Vielleicht auch vor dem Hintergrund, dass du mich ja nicht immer siehst und erlebst. Es gibt schon auch die Momente mit den Leuten, die dann ständig um mich herum sind, die dann auch sagen: Oh Mann, bist du mühsam. Da gibt es schon auch die Momente, wo ich dann sozial unverträglich bin. Ich bin auch jemand, der extrem schnell genervt ist, wenn etwas nicht so geht, wie ich mir das vorstelle. 


„Die erste Frage nach dem Gleitschirmabsturz war, wie kriege ich jetzt möglichst schnell Krücken her und werde meinen Rollstuhl los, damit ich dann wieder loslegen kann.“


Was aber natürlich dazu führt, dass ich zum Beispiel auch Dinge dann nicht akzeptiere. Also, ich habe es nicht akzeptiert nach diesem schweren Unfall, wo ja wirklich vierzehn Knochen dran glauben mussten bei diesem Gleitschirmabsturz, dass das jetzt das Ende meiner körperlichen oder meiner sportlichen Aktivität ist. Die erste Frage für mich war, wie kriege ich jetzt möglichst schnell Krücken her und werde meinen Rollstuhl los, damit ich dann wieder loslegen kann.

 

Du hast ein sehr ausgeprägtes Durchhaltevermögen. Haben ältere Menschen eigentlich eher dieses ausgeprägte Vermögen von Resilienz?

 

Ich weiß es nicht, ob es mit dem Alter zu tun hat. Bei mir ist es sicher so, dass ich da Dinge dann für mich nicht akzeptieren möchte. Auch die Frage: Gehe ich wieder fliegen? Das war für mich dann recht schnell klar: Ich will wieder fliegen. Das haben viele Leute nicht verstanden, dass man sich diesem Risiko wieder aussetzt. Aber für mich war das klar, ich muss, ich brauche das. Für mich ist es ein Ventil.

 

Die landläufige Wahrnehmung ist, dass Ältere resilienter sind, auch in herausfordernden Situationen mehr Durchhaltevermögen haben, als Jüngere. Für Manche ist das Starrsinn, Festhalten an Überkommenem. Siehst Du da Unterschiede zwischen den Generationen?

 

Mag sein. Ja. Es gibt ja dieses Wort der Agilität, die dann vielleicht bei Jüngeren ausgeprägter ist. Dass man agiler an die Sachen rangeht und dann eben nicht so starrsinnig ist. Dass man als Älterer praktisch dann eben sagt: Nee, ich habe mein Ziel und das ziehe ich durch, egal, was kommt. Und jüngere Leute sind da vielleicht agiler und und flexibler unterwegs, das hat ja auch Vorteile. Dass man sagt, ich muss da jetzt nicht einem Ziel hinterherhängen, das bringt mir ja nichts. Es gibt ja auch Managementmethoden, die sich verändern, OKR zum Beispie (Anm.: Objectives and Key Results). Ich gucke, was sind die Schlüsselresultate, die ich da erreichen möchte? Und was sind die Ziele, die ich erreichen möchte? Und wenn ich 70 Prozent von dem erreiche, dann reicht es, dann muss ich mir neue Ziele geben.

 

Pareto sind 80:20, hier sind wir nur noch bei 70:30 …

 

… ja, diese Methode aus dem agilen Projektmanagement sagt, 70 Prozent reicht schon, also nicht mal 80. Noch mal 10 Prozent reduziert. Das fällt mir schon schwer, muss ich sagen. Manchmal möchte ich auch sagen, 70 Prozent reicht, aber dann gibt es schon die Momente, wo ich denke: Ja, nee, also wenn ich jetzt Herzchirurg wäre und nach 70 Prozent der Operation sage, das muss jetzt reichen und der verblutet vor meinen Augen, das kann es ja nicht sein. Also, da gibt es nur 100 Prozent, damit das Resultat dann wirklich auch funktioniert. Kommt auch ein bisschen darauf an, welche Aufgabe man da vor sich liegen hat. Aber ich bin schon eher der, der dann die 100 Prozent sucht. Ich weiß auch, dass das nicht immer ressourcenschonend ist.

 

Ist das Adrian oder ist das eine Altersfrage?

 

Das bin schon auch ich. Aber vielleicht hat es auch mit dem Alter zu tun. Das weiß ich nicht. Ich war wahrscheinlich schon immer so ein bisschen in diese Richtung gestrickt. Was sich aber verändert hat und wo sich auch eine Schwäche über die Zeit einschleicht: Im Alter, finde ich, dass Ängste aufkommen, die ich früher nicht hatte. Da meine ich jetzt nicht Angst vorm Fliegen, da sind es andere Ängste. Es sind eher Existenzängste, die plötzlich auftauchen. Schaffe ich das alles noch? Kriege ich das noch auf die Reihe und brauchen die mich noch? Und werde ich dann nicht überflüssig? Bin ich das Geld noch wert? Das sind schon Fragen, die an diesem Selbstverständnis und an diesem unerschütterlichen Bild ziemlich nagen auch. 


„Grundsätzlich ist es schon so, dass ich es spannend finde, Erfahrung weiterzugeben.“


Auch in Momenten, wo es einem mal nicht so gut geht. Und das geht dann in die Psyche rein. Das schlägt tatsächlich auf die Stimmung, auf die Tagesform, auf die Verträglichkeit im sozialen Umfeld.

 

Dass Du merkst, es ist nicht immer alles gut, was Du bisher richtig fandest? Einfach mal mit 80 oder 70 Prozent zufrieden sein?

 

Manchmal stelle ich mir die Frage schon: Ist das richtig, Dinge dann so weiter zu tun, wie man es schon immer gemacht hat und dann vielleicht zu wenig auf das zu hören, was um einen herum passiert, was einem der eigene Körper vielleicht sagt, wenn man da vom Himmel fällt. Ist ja auch so ein Bild – was will mir das sagen? Ist es jetzt nur einfach dumm gelaufen? War es jetzt einfach Pech oder war das noch was anderes? Ja, solche Fragen kommen dann schon und dann kratzt es schon an diesem Bild.

 

Vielleicht bist Du auf eine Art ein bisschen stieselig, aber eigentlich bist Du doch auch sehr neugierig und offen. Du magst Dinge an andere Menschen weitergeben. Es ist wohl nur die Frage, ob die das auch weitergegeben bekommen wollen von Dir.

 

Ich glaube, es spielt eine Rolle, mit wem man es dann zu tun hat. Also, welches Alterssegment und was das Gegenüber an Erfahrung und Wissen mitbringt. Was mir häufig passiert, das sagt mir meine Frau, dass ich dann irgendwie viele Geschichten erzähle, Umstände, Situationen oder Erfahrungen, die zu der Sache gar nicht so viel beisteuern. Das kann dann schon passieren, weil wenn man halt so ein paar Dinge schon erlebt hat und die dann zum Besten gibt. Aber grundsätzlich ist es schon so, dass ich es spannend finde, Erfahrung weiterzugeben. Ich bin ja grundsätzlich gerne auch in der Freizeit mit jungen Leuten unterwegs, weil mich das bereichert und spannend ist. 

 

Da muss man als Älterer, der sehr viel Erfahrung hat, wohl manchmal schauen, dass man das ein wenig kanalisiert …

 

… dosiert.

 

Dosiert.

 

Man muss auch dem Gegenüber zuhören und nicht nur die eigenen Geschichten zum Besten geben. Auch auf die Leute schauen, was bewegt die? Was sind deren Sorgen? Was sind ihre Themen? Man muss sich stets bewusst sein, dass es da ein Gegenüber gibt. Nicht nur einen Rezipienten, sondern eben einen Kommunikationspartner.

 

Es gibt gerade viele ältere Menschen, die wollen nur etwas weitergeben, quasi wie ein Vermächtnis. Oder ist es ein Weitergeben im Hier und Jetzt, ein Dialog?

 

So sehe ich das, absolut. Das zweite ist mir geläufiger, und ich glaube nicht, dass ich nur die alten Weisheiten zum Besten geben möchte. Also in dem Sinne: Dass du ja diesen Fehler nicht tust in deinem jungen Leben! Das ist nicht so mein Ding. Da bin ich schon eher im Hier und Jetzt unterwegs. Ich bin auch nicht jemand, der Dinge von langer Hand plant und von langer Hand überlegt: Was müsste ich dem Menschen da mit auf den Weg geben in seiner Situation? Sondern das ist das, was gerade aktuell ist. Ich bin nicht der Guru, der alte Lebensweisheiten verklickern will.

 

Das wäre wohl auch eher abschreckend für Jüngere, nicht nur in der heutigen Zeit, sondern auch früher.

 

Denke ich auch. Ich fand sowas immer dröge.

 

Wie kommt man denn am besten in einen Dialog, wie kann man führen und lässt sich dennoch gerade von Jüngeren inspirieren?

 

Das ist eine recht anspruchsvolle Aufgabe. Das finde ich nicht so einfach. Ich ertappe mich dabei, je älter ich werde, dass ich nicht so die Geduld habe, mich genügend zu involvieren und in das reinzugehen. Das ist eine Aufgabe, die Energie braucht. Vielleicht auch mehr, als ich Lust dazu habe. Ich ertappe mich echt dabei, dass ich dann manchmal sage: Ach nee, komm, vergiss es … keine Lust, ich mach’ mein eigenes Ding. Das konnte ich wahrscheinlich früher besser, das hat sich verändert. Ich konnte früher noch besser zuhören. Ich konnte besser auf die Leute eingehen und diese Rolle, die du da beschreibst, ausfüllen, das fällt mir heute schon schwerer.

 

Wie kommt das?

 

Vielleicht ist es nicht mal so sehr im Dialog selber, sondern bereits davor. Habe ich jetzt die Energie und Lust und Freude, mich da überhaupt in einen Dialog zu begeben? Wenn ich im Dialog bin, habe ich weniger das Problem, dann findet das statt, dann führe ich den auch, dann ziehe ich das auch durch. Es ist eher so die Anschubsenergie, die es zu Beginn braucht, die mir dann manchmal abhanden kommt. Mich in so eine Situation zu begeben, das fällt mir immer schwerer. Warum das so ist? Ich weiß es nicht. Das ist eine gute Frage. Vielleicht ist das auch nicht generell so, ich weiß es nicht. Mhm … Dann denke ich, ich habe keine Lust drauf, weil das Leben, das nimmt ja nicht zu, es nimmt ab, das wird immer kürzer, also konzentriere ich mich auf meine Dinge. Ich merke schon auch, dass man dann mit der Zeit eher zum Einzelgänger wird. Man ist dann nicht mehr so im Team, ist nicht mehr Teil davon. Das ist schon etwas, was auch schmerzhaft sein kann. Da nehme ich schon wahr, dass du dann halt nicht mehr dazu gehörst. Du bist dann nicht mehr Part of the Gang, weil du selber dich ein bisschen rausnimmst. 

 

Geht es um die Frage, ob man dann eigentlich noch von irgendjemandem vermisst wird? Im besten Fall sagen sie: Oh, schade, dass er weg ist. Im schlechtesten Fall sagen sie: Ich bemerke gar nicht, das der nicht da ist. Man könnte ja auch bewusst die Leadership-Rolle abgeben und das entsprechend koordinieren.

 

In der Führungsverantwortung auf jeden Fall, das habe ich auch schon gemacht. Ich führe keine Personalgespräche mehr, ich habe keine konkrete Personalverantwortung mehr, dafür sind jetzt andere zuständig. Brauche ich nicht mehr. Teams führen, Teams aufbauen, Personal suchen, Leute auf die Straße setzen, wenn was nicht läuft, das ist nicht mehr mein Ding. Ich habe mich eine Zeit lang dafür sehr engagiert, das zu tun. Und das tue ich nicht mehr und ich vermisse es auch nicht. Das entlastet mich an der Stelle. 


„Damit muss man dann auch umgehen, dass man eben vielleicht nicht mehr die Bedeutung hat.“


Die Gefahr ist natürlich, dass man dann eben auch nicht mehr der Wichtige ist. Das ist natürlich schon so, oder? Also gut, Gefahr … keine Gefahr, sondern das ist ein Resultat. Damit muss man dann auch umgehen, dass man eben vielleicht nicht mehr die Bedeutung hat. Auch im Team hat man dann eben nicht mehr diese Bedeutung. Man ist dann in so in einer Senior Rolle. Aber ich finde das jetzt nicht nur schlecht.

 

Sich irgendwann aus Dingen rauszuziehen, aus selbstgewählten Bereichen, das ist nach meinem Verständnis relativ normal. Wie ist es, sich aus Dingen rauszuziehen, innovativen Themen, deren Bedeutung man vielleicht noch gar nicht so ganz beurteilen kann? Dann zu sagen: Hey, ich habe null Ahnung, wo es hingeht. Mach mal! Man kann dann nicht absehen, wohin es gehen wird.

 

Das ist eine interessante Frage. Ein Thema, bei dem ich immer wieder anecke, auch bei Kollegen, ist zum Beispiel die Nutzung von Tools. Welche Tools setze ich ein, um die Kommunikation in einem Team zu gewährleisten? Ich war früher auch zuständig für digitale Kommunikation und war da immer up Front, habe das Zeugs immer selber ausprobiert und gemacht. Ich merke aber, dass ich da zum Teil echt keine Lust mehr drauf habe und dass mich das überfordert. Mhm. Ist vielleicht das falsche Wort, es ist keine Überforderung, sondern eher eine Langeweile. Oder … mir fehlt das Wort dafür …

 

Man hat schon so viel gesehen, und jetzt kommt der nächste Hot Shit?

 

Ja, genau. Es ist eine Lustlosigkeit, sich mit dem jetzt auch noch mal beschäftigen zu müssen. Denn diese Kommunikationskanäle und Mittel, reichen die nicht? Die, die wir da schon haben, im Dutzend? Reicht es nicht eigentlich? Also, ich habe da so eine gewisse  Müdigkeit, vielleicht Lustlosigkeit, boah, lass mich in Ruhe mit dem Scheiß, da kommt immer wieder was Neues.

 

Das finde ich jetzt spannend. Entschuldige, wenn ich da insistiere. Lustlosigkeit, Müdigkeit. Das ist doch nicht Adrian. Wenn du mal darüber nachdenkst, was ist die richtige Beschreibung? Ich glaube Dir das nicht. Du lustlos oder müde?

 

Ja, vielleicht. Müdigkeit ist der falsche Begriff. Da hast du recht. Aber Lustlosigkeit, das passt schon ziemlich. Ich habe keine Lust. Auch da möchte ich einen Bundesrat zitieren: Bundesrat Maurer sollte ein Interview geben und hat den Journalisten mit den Worten „Ich habe jetzt keine Lust“ vor laufender Kamera abgewimmelt. Dieses einfach frei weg von der Leber zu sagen: Nee, keine Lust jetzt.

 

Dann muss man jemanden installiert haben, der darauf Lust hat. Der Antworten gibt und der Dinge vorantreibt auf einem Feld, aus dem man sich zurückzieht. Nicht weil man sagt: Ich selbst habe habe das ausgesucht, damit das in meinem Sinne weiterläuft, denn dann bist du ehrlicherweise immer noch mit drin. Sondern Dinge abzugeben, wo man sagt: Da stecke ich gar nicht mehr drin, weder in der Initialphase noch in der Weiterentwicklung. Und ich weiß auch überhaupt nicht, wohin es läuft. Das ist etwas ganz anderes.

 

Ja, zum Beispiel jetzt gerade die ganze Diskussion rund um KI und was da passiert, was da abgeht, das ist natürlich schon super spannend. Auch im Gegensatz zu dieser ganzen Metaverse-Diskussion, die war ja The last hot Shit vor KI. Während ich eher sehe, dass die ganze KI-Diskussion, was da an Tools kreucht und fleucht, schon ein echtes Thema ist. Das ist mir bewusst. So viel Auseinandersetzung muss dann schon sein und mit ChatGPT regelmässig rumspielen. Da ist es wichtig, dass man als Agentur nicht abhängt, sondern voll dabei ist, mitreden kann und das auch einsetzt. Jetzt können wir uns in unserer Größe nicht jemanden leisten, der nichts anderes tut. Das ist dann auch wieder unrealistisch. Aber ein Verständnis zu schaffen, das als wichtig zu erachten und auch in den entscheidenden Momenten einzusetzen, das ist mir schon klar. Nicht für jeden heißen Scheiß, aber für diesen jetzt schon.

 

KI ist etwas, was euer Geschäftsmodell angreift, so wie das Geschäftsmodell von vielen anderen Agenturen auch. Ihr werdet euch darüber sicherlich bewusst sein. Wie geht ihr damit um?

 

Naja, das hängt schon sehr davon ab, wie die Aufgaben sich präsentieren. Dort mitzumischen, wo KI das tatsächlich besser macht oder schneller macht oder effizienter macht, da ist es blöd, dagegen anzukämpfen. Und wenn der Kunde sagt, ich brauche keine Beratung, dann ist es auch nicht unbedingt der Kunde, der für uns spannend ist. Die Kunden, die spannend sind, die sich bewusst sind, wo der Mensch der bessere Lieferant ist als, eine künstliche Intelligenz, zumindest heutzutage noch. Man muss sich als Agentur sehr bewusst sein, wo es Sinn ergibt, auf KI zu setzen und das dann auch im Dienste des Kunden zu machen. Da braucht es einen vernünftigen Umgang mit diesen Technologien und diesen Möglichkeiten. Man sollte nicht versuchen, die zu bekämpfen, zu konkurrenzieren oder sagen: Ich muss meine Latifundien da verteidigen gegenüber einer KI, die das viel besser kann und effizienter. Dieser Gefahr bin ich mir absolut bewusst und da bin ich auch nicht unglücklich, dass ich jetzt nicht erst 20 bin und mich gerade entschieden habe, mich in der Agenturlandschaft zu bewegen. Trotzdem glaube ich, dass eine Beratungsleistung nach wie vor einen Wert haben wird. Und die KI nicht. Wir hatten jetzt gerade so einen Fall. Einen Kunden, der mit einem Briefing auf uns zugekommen ist. Und wenn man die Situation analysiert hat, dann steht da nicht das drin, was der braucht. Jetzt weiß ich nicht, wie weit eine KI in absehbarer Zeit in der Lage sein wird, ein Briefing zu interpretieren und die Situation eines Kunden richtig einzuschätzen. Häufig gibt es ein Gap zwischen dem, was er eigentlich will und dem, was da drin steht. Das zu erkennen und dann die richtigen Schlüsse zu ziehen und eine Empfehlung abzugeben, ist die Beratungsleistung.

 

Man muss auf der Basis der Erfahrung wissen, was man will und man muss die richtigen Fragen stellen. Wenn Du gute Daten lieferst, dann liefert KI gute Ergebnisse. Der Punkt ist einfach nur: Du musst es richtig füttern.

 

Und da kommen wir zum Bergsport zurück. Gestern hatte ich ChatGPT befragt: Gib mir mal alle Schweizer Alpengipfel raus, die in der Höhe mit 60 enden. Da hat er die Daten nicht. Und du als Resultat keine Liste mit passenden Gipfeln.

 

Ich kann mir vorstellen, dass so eine Anfrage das geringste Problem ist in Zukunft.

 

Ja, weil das ein reines Datenthema ist. Also nur Daten, da muss er nicht mal was erfinden. Er muss nur die Daten sammeln und da hat er die Daten offensichtlich nicht. Da hat man dann nicht die Gipfel.

 

Apropos 60. Dieses Jahr wirst Du 60, das war wahrscheinlich der Grund für Deine Anfrage. Fällt Dir auf, dass das häufiger vorkommt in Deinem Alter: Dass es den „Seniorenteller“ im Restaurant gibt oder ein „Seniorenmagazin 55 plus“? Fühlst du dich eigentlich mit dem Begriff „Senior“ angesprochen?

 

Als Fußballer ist man bei den Senioren ab 30. Im Curling glaube ich ab 60 …

 

… und nun bekommst Du dieses Seniorenmagazin in den Briefkasten.

 

Ich habe das tatsächlich letzte Woche gekriegt, von der Gemeinde Meilen, wo ich wohne. Mit Angeboten für Senioren.


„Seniorenmagazin 50plus? Ich würde fragen: Wo ist der Altpapierständer?“


Und woran hast Du gedacht? Ich brauche vielleicht einen Treppenlift?

 

Nee, wo ist der Altpapierständer? (lacht) Also nee, spricht mich nicht wirklich an. Wobei, it depends, sagt der Berater. Als Juniordesigner wollte ich immer Senior werden. Da ist der Senior durchaus eine Qualität, weil der verdient mehr.

 

Im Angelsächsischen hat „Senior“ die Bedeutung von erfahren. Bist Du – auf deutsch ausgesprochen – ein Senior?

 

Also als Senior im Sinne von Rabatte beim ÖV fahren? Nee, mich spricht das nicht wirklich an.

 

Warum nicht? Du bist bald 60, in den Augen Jüngerer warst Du sicherlich schon vorher ein Senior.

 

Vielleicht ist es tatsächlich das Weigern des Akzeptierens einer gewissen Alterskategorie, in die man ganz automatisch reinwächst. Ich bin jetzt auch nicht der, der versucht auf Biegen und Brechen besonders jung zu wirken. Der Haartransplantationen macht und die Haare färbt. Das bin ich nicht. Ich akzeptiere ja mein Äußeres und meine Erscheinung. Ich würde über Angebote, die so formuliert sind, wahrscheinlich einfach hinweggucken. Im Moment noch zumindest.

 

Wie alt fühlst Du Dich eigentlich, in welcher Lebenswelt bist Du zu Hause?

 

Wenn ich an meine Freizeitaktivitäten denke, dann bin ich irgendwo so zwischen 40 und 50 unterwegs. So gefühlt. Vielleicht muss man diesen Begriff „Senior“ infrage stellen. Ist das ein Begriff, der überhaupt noch in die heutige Zeit reinpasst? Außerdem, ist es nicht so, dass man so alt ist, wie man sich fühlt? Das ist vielleicht eine Plattitüde, hört man aber immer wieder. Und wenn man sich halt jetzt nicht wie 60 fühlt, so what? Ist das schlimm? Ist es überhaupt entscheidend? Früher hat man sich wahrscheinlich sehr stark über das Alter identifiziert. Früher war das so: Ab 40 steigt man nicht mehr auf die Berge. Das machte man nicht. Mein Vater ist jetzt 93, das ist eine andere Generation. Wie ich mich heute mit dann bald 60 fühle und wie er sich damals wahrscheinlich mit 60 gefühlt hat und wie ich ihn mit 60 wahrgenommen habe, das sind Welten. Das ist eine andere Galaxie.

 

Es hat nicht nur mit der Physis zu tun, sondern mit dem Selbstverständnis?

 

Absolut, klar, sicher auch physisch. Ich bin sicher leistungsfähiger, als er es mit 60 war. Definitiv. Das ist sicher der eine Grund, aber es ist auch das Selbstverständnis. Glaube ich schon.

 

Du kommst ja aus der aus der Werbe- und Marketingbranche, wie spricht man denn am besten Menschen 50plus oder 60 plus an?

 

Indem man versucht, authentisch, zeitgemäß rüberzukommen, also nicht einem Bild zu verfallen, wo man das Gefühl hat, da passen die Leute rein. Zum Beispiel Jung von Matt hat ja Lebenswelten nachgebaut, das finde ich eigentlich eine gute Idee, dass man sagt: Wenn ich eine Zielgruppe verstehen möchte, dann baue ich die Lebenswelt nach, wie die unterwegs sind. Und das versucht man dann zu vermitteln. Ich denke schon, dass es wichtig ist, eine gewisse Authentizität zu erkennen, wie Leute in ihrer Altersgruppe unterwegs sind, was sie wollen, wie sie sich fühlen. Die ganze Bandbreite, und dann eher im erstrebenswerten Bereich, was sie gerne hätten.

 

So kommen wir wieder zum Anfang des Gesprächs zurück. Du hast ja einen unglaublichen Drive.

 

Hat sich halt so ergeben. Das ist schon auch etwas, wo ich im Moment drüber nachdenke. Eine gewisse Schere, die da durchaus besteht. Auf der einen Seite eben, wie du sagst „Drive“, auf der anderen Seite diese Lustlosigkeit, ich habe es auch als Müdigkeit bezeichnet. Das sind so zwei Kräfte. Ich will das tun, was ich möchte und ich habe Freude daran. Ich war vor zwei Wochen mit mit drei Jungs unterwegs auf einer Skitour. Die haben alle Kinder zwischen fünf und acht Monaten, alle drei sind Papis. Und dann waren wir vor einem Hang, ziemlich steil, wo wir die Frage gestellt haben: Ist der jetzt gefährlich? Kommt da eine Lawine runter oder nicht? 

 

Jetzt bin ich gespannt. 

 

Ich hab’ dann gesagt: Ja, schick doch mich vor, weil meine Kinder sind schon in einem Alter, wo sie den Vater nicht mehr unbedingt brauchen. 

 

Hast Du das Deiner Frau erzählt? 

 

Ja, gut, die schüttelt nur den Kopf über solche Dinge. Die anderen waren halt jung, so zwischen 35 und 40, mit kleinen Kindern zu Hause, da hat man ein bisschen eine andere Verantwortung, als wenn man da als Senior diesen 35-Jährigen hinterhertrampelt auf einer langen Skitour.

 

Das ist schon ein typischer Adrian, oder? Auf norddeutsch würde ich sagen: Dann mal Mast- und Schotbruch. Gibt es so etwas auch auf Schweizerdeutsch?

 

Hals- und ein Beinbruch sagt man schon auch. Also, beim Gleitschirmfliegen sagt man auch nicht Guten Flug, sondern man sagt: Eine gute Landung.

 

Adrian Schaffner, 1964 in Basel geboren, studierte visuelle Kommunikation an der Schule für Gestaltung Basel, ist diplomierter Erlebnispädagoge, war 1993–2007 bei Interbrand in Zürich und Köln, auch als Mitglied der Geschäftsleitung, und gründete 2007 zusammen mit einem Partner die evoq communications  AG, eine Kommunikations- und Design-Agentur. Er hat zwei Kinder und lebt mit seiner Frau in Meilen, nahe Zürich.


Dunkles Brot & fetter Powder

Lieblingssongs/-interpretInnen:

Billy Prince Bonnie – cooler American Singer/Songwriter

Lieblingsbuch/-Podcast:

Über Menschen von Julie Zeh

Lieblingsfilm/-serie:

Star Wars

Lieblingsmarke:

K2

Lieblinsgreiseziel:

Es muss Ziele heissen. Regelmässig Schweizer Alpen. Leider schon lange nicht mehr: Jordanien, USA.

Lieblingsessen:

Ein frisches Stück dunkles Brot mit Bergkäse.

Lieblingsspruch:

Schaun mer mal …

Unterirdisch finde ich …

… Unspontaneität oder anders gesagt: Starrheit.

Ich chille am besten, wenn ich …

… draußen.

Meine größte Freude ist es, …

… mit dem Gleitschirm durch die Luft zu fliegen oder bei fettem Powder eine Linie durch den Schnee zu ziehen.


©Bild: Wenya Luo auf Unsplash