Die Regierung muss den Folgen des Alterungsschubs entgegensteuern

Allein mit zugewanderten Arbeitskräften wird Deutschland sein wachstumsfeindliches Alterungsproblem nicht lösen können. Das Arbeitsangebot muss ausgeweitet werden – und dafür braucht es Maßnahmen.

 

In den kommenden 15 Jahren werden altersbedingt etwa 15 Millionen Erwerbstätige aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Ihnen stehen weniger als zwölf Millionen junge Menschen gegenüber, die in diesem Zeitraum ins Erwerbsleben starten können. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) geht davon aus, dass etwa 400.000 aus dem Ausland zugewanderte Arbeitskräfte pro Jahr benötigt werden, um die Babyboomer-Jahrgänge in Fabriken, Geschäften und Büros zu ersetzen. […]

 

Mit dem gerade im parlamentarischen Prozess behandelten „Fachkräfteeinwanderungsgesetz" wollen SPD, Grüne und FDP den Bürgern nun signalisieren, dieses Thema erkannt und gelöst zu haben. Leidige Diskussionen, etwa um höhere Wochen- oder gar Lebensarbeitszeiten, brauche es daher nicht. Ein Irrglaube! […]

 

„Wir wollen, dass Fachkräfte schnell nach Deutschland kommen und durchstarten können. Bürokratische Hürden wollen wir aus dem Weg räumen", sagt die für das neue Gesetz mitverantwortliche Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). „Wenn Menschen Berufserfahrung oder persönliches Potenzial mitbringen, werden wir es ihnen ermöglichen, auf unserem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen." Was und wen genau sie damit meint, bleibt unklar. […]

 

Die meisten der bislang zugewanderten Menschen kamen nicht als Arbeitsmigranten nach Deutschland, sondern als Schutz und Sicherheit suchende Flüchtlinge. Im Jahr 2022 lebten laut Statistischem Bundesamt hierzulande etwa 13,4 Millionen Ausländer. Fünf Millionen kamen aus EU-Ländern und konnten daher frei entscheiden, in welchem Mitgliedsland sie leben und arbeiten wollen. […]

 

Da es auch mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz wenig wahrscheinlich ist, dass diese Rechnung aufgeht, wird die Politik kaum umhinkommen, einige politisch unangenehme Fragen zu diskutieren. Warum arbeitet nahezu die Hälfte der Frauen trotz zumeist hoher Qualifikation in Teilzeit? Ist es klug, wenn die Co-Vorsitzende der SPD die Vorzüge einer Vier-Tage-Woche preist? Ist das Ehegatten-Splitting noch zeitgemäß? Was läuft im Bildungssystem falsch, wenn jeder

sechste der 20- bis 34-Jährigen in Deutschland ungelernt ist? Wie können ältere Arbeitnehmer zu einer Weiterbeschäftigungnach dem Erreichen der Regelaltersgrenze motiviert werden? Was spricht dagegen, im nächsten Jahrzehnt die Regelaltersgrenze auf über 67 Jahre anzuheben? […]

 

Spätestens die nächste Bundesregierung wird sich den enormen strukturellen Problemen als Folge des Alterungsschubs stellen müssen. Und je später diesen Problemen gegengesteuert wird, umso schärfer wird die Kurskorrektur ausfallen müssen. Wegducken ist keine Option.

 

©Text: Handelsblatt, 12.05.2023 | ©Foto: Scott Graham auf Unsplash